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klüger fühlen!
Inhalt:
klüger fühlen 01 – Warum wir fühlen
klüger fühlen 02 – Eine neue Ordnung der Gefühle
klüger fühlen 03 – Grundgefühle 1. Ordnung
klüger fühlen 04 – Grundgefühle 2. Ordnung
klüger fühlen 05 – Der schillernde Kosmos unserer komplexen Gefühle
klüger fühlen 06 – Klüger fühlen!
klüger fühlen 03:
Grundgefühle 1. Ordnung
„Die Tiere empfinden wie der Mensch
Freude und Schmerz, Glück und Unglück.“
Mahatma Gandhi
Um dem Geheimnis unserer Gefühle auf die Spur zu kommen, ist es wichtig, uns zu vergegenwärtigen, dass all das, was wir fühlen, auf in uns ablaufenden organischen Prozessen beruht. Unser Körper verfügt über hocheffektive neurale Kanäle und spezialisierte Drüsen, die nur dafür dafür erschaffen sind, um unser System mit dem zu versorgen, was wir „Gefühle“ nennen.
Diese organischen Strukturen sind durch evolutionäre Prozesse erschaffen und, wie andere Organe, im Laufe der Jahrmillionen spezifisch verfeinert worden. In meinen Augen ergibt sich hieraus zwingend: Der Mensch ist bei Weitem nicht das einzige Tier, das fühlt.
Wenn wir das Wirken unserer Gefühle wirlich verstehen wollen, dann müssen wir sie aus den Augen der Evolution selbst betrachten.
Die Schlüsselfrage lautet also:
Was nützt es der Schnecke, wenn sie sich freut?
Freude: Schöner Götterfunken!
„Ein Leben ohne Freuden ist
wie eine weite Reise ohne Gasthaus.“
Demokrit
Ausgerechnet die Freude ist es, die den Schlüssel zum Verständnis unserer Gefühle birgt. Der Ärger und die Traurigkeit, und auch die allüberall empfundene Angst leuchten auf den ersten bis zweiten Blick als evolutionär vorteilhaft ein.
Doch: Welchen evolutionären Nutzen hat die Freude? Was hat eine
Art davon, wenn ihre Mitglieder immer mal wieder fröhlich sind? Dass es sich gut anfühlt, wenn wir uns freuen, steht außer Frage. Aber was hat unsere Art davon?
Was nützt es der Schnecke, wenn sie sich freut?
Stellen wir die Frage anders: Wann freut sich eine Schnecke?
Falls du selbst nicht darauf kommst, dann stelle diese Frage einem beliebigen Kind aus deiner Familie oder Nachbarschaft. Höchstwahrscheinlich wird seine Antwort der Wahrheit ziemlich nahe kommen.
Wann empfinden wir selbst Freude?
Wir freuen uns, wenn unsere Bedürfnisse erfüllt werden. Wenn Dinge geschehen, durch die wir aus einem Zustand des absoluten oder relativen Mangels in einen Zustand höherer physischer oder psychischer Genährtheit übergehen.
Wenn wir hungrig sind und in einen Apfel beißen… (Nährstoffe)
Wenn wir lange unter Wasser waren und schließlich auftauchen… (Sauerstoff)
Wenn wir richtig gut gevögelt werden… (Sex)
Wenn uns jemand eine uns unklare Aufgabe erläutert… (Orientierung)
Wenn wir an einer Rose riechen… (Intensität)
Wenn uns unser Vater sagt, dass er stolz auf uns ist… (Anerkennung)
Wenn wir lächelnd unseren Kindern (oder Enkeln) beim Spielen zuschauen… (Sinn)
… dann freuen wir uns.
Passiert es nicht, obwohl wir eine Sehnsucht danach verspüren, dann werden wir traurig oder ärgern uns. Je nachdem. Dazu gleich mehr.
Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir uns freuen?
All die hier von Gerhard Roth beschriebenen neurochemischen Prozesse führen unter Anderem dazu, dass Nervenzellverbindungen, die häufig genutzt werden, mit einer isolierenden Schicht aus einem Fett namens Myelin überzogen werden. Zellen, die durch eine Myelin-Schicht geschützt sind, leiten elektrischen Strom um ein Vielfaches schneller als solche ohne Myelin.
Dies ist übrigens nicht nur bei der Freude der Fall, sondern auch bei allen anderen Grund- und auch den komplexen Gefühlen. Durch unsere Gefühle strukturiert und justiert sich unser Gehirn immer wieder neu auf die es umgebende Umwelt ein.
Je häufiger wir also ein bestimmtes Gefühl fühlen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir dieses Gefühl in naher Zukunft wieder fühlen werden.
Was an diesem Prozess ist bei der Freude anders als bei anderen Gefühlen?
Die Freude ist das einzige Gefühl, das sich einstellt, wenn uns etwas gelingt, wenn wir etwas „richtig“ machen oder uns etwas „Gutes“ geschieht.
Wenn wir uns freuen, dann interpretiert unser Gehirn: „Das hier hat funktioniert! Das tut mir gut! Davon will ich mehr! Das merke ich mir!“ Es schüttet Glückshormone und Endorphine aus. Myelin wird produziert und intern verschoben. Hierbei gilt, wie auch bei allen anderen Gefühlen: Je intensiver das Gefühl, desto mehr Myelin lagert das Gehirn um die entsprechenden Nervenzellverbindungen an.
Freude ist der Schlüssel zum Lernen. Unser Gehirn lernt durch Versuch und Erfolg. Hat eine Strategie Erfolg oder erleben wir einfach einen glücklichen Zufall (zu dem wir allerdings, das weiß unser Gehirn, möglicherweise auch etwas dazu getan haben), dann ist es evolutionär gesehen sehr sinnvoll, wenn wir uns diese Erfahrung gut merken, weil wir aus ihr etwas Nützliches für die Zukunft lernen.
Wer sich nicht freut, lernt zwar weiterhin Dinge über das Leben, nur leider weniger von dem, was funktioniert und uns vorwärts bringt. So haben Menschen, die wenig Freude empfinden, nicht nur bedeutend häufiger viele unerfüllte Bedürfnisse. Sie kennen oftmals auch weniger Möglichkeiten, diese zu befriedigen als Menschen, die sich regelmäßig freuen.
Je nachdem, wie wichtig uns das Bedürfnis ist, das gerade erfüllt wird und/oder wie eklatant der zuvor empfundene Mangel war, wird unsere Freude unterschiedlich stark ausfallen.
Vier Stufen der Freude:
Stufe 1 (Grundform): Zustimmung
Stufe 2 (Positivform): Freude
Stufe 3 (Elativform): Begeisterung
Stufe 4 (Exzessivform): Euphorie
Da das Empfinden von Freude an die Ausschüttung von Endorphinen (=körpereigene Opioide) gekoppelt ist, ist es nicht verwunderlich, dass sie in ihren kräftigeren Erscheinungsformen nicht nur von Weitem gewisse Ähnlichkeiten mit einem Drogenrausch zeigt.
Freude ist die Belohnung unseres Gehirns. Dafür, dass wir etwas dafür getan, dass, und/oder uns in eine Situation begeben haben, in der unsere Bedürfnisse erfüllt wurden.
Die Botschaft der Freude lautet: „Das tut mir gut! Davon will ich mehr!“ Auf diese Weise sorgt unser Sytem dafür, dass wir uns und es mit dem versorgen, was ihm und uns gut tut. Gleichzeitig bekommen in unserem Gehirn diejenigen Nervenbahnen ein Upgrade, die mit dieser Erfahrung in engem Bezug stehen.
So lernen wir.
Und glauben wir dem Neurobiologen Gerald Hüther, dann ist der Zustand der Begeisterung der ideale Nährboden dafür, zu lernen, zu reifen und uns intellektuell, emotional und sozial weiter zu entwickeln.
In Verbindung mit gedanklichen Perspektiven und Interpretationen bekommen unsere Grundgefühle in ihren komplexen Formen ein neues Gesicht. Allerdings ist auch in diesen Erscheinungsformen die Grundenergie zumeist recht leicht herauszulesen:
Komplexe Formen der Freude:
Komplexe Erscheiungsformen der Freude sind u.A.: Dankbarkeit, Stolz, Erzücken, Schadenfreude, Genuss, Gemütlichkeit, Zuhausesein, Hingabe, Zuversicht, …
So weit, so gut. Wenn unsere Bedürfnisse erfüllt sind, dann verspüren wir Freude. Was aber passiert, wenn wir feststellen oder den Eindruck haben, dass relevante Bedürfnisse in uns nicht, wieder nicht oder aus Dauer nicht befriedigt werden?
Das kommt darauf an.
Ärger: Die Antwort ist: „Nein.“
„Aus bitterer Erfahrung zog ich diese eine und höchste Lehre: Man muss den Zorn in sich aufstauen, und so wie gestaute Wärme in Energie umgesetzt werden kann, so kann unser gestauter Zorn in eine Kraft umgesetzt werden, die die Welt zu bewegen vermag.“
Mahatma Gandhi
Die Botschaft des Ärgers lässt sich in einem einzigen Wort zusammen fassen: Der Ärger sagt: „Nein!“
Das, was hier passiert, tut mir nicht gut. Der Ärger schenkt mir die Energie und Entschlossenheit, die es braucht, um die Situation, in der ich mich befinde, anzupacken und zu ändern.
Im Zustand von Ärger oder Wut schüttet unser Körper Mengen bis Unmengen an Stresshormonen aus. Unsere Muskeln spannen sich an, alle nicht akut benötigten Körperfunktionen werden gedrosselt, Atem und Herzschlag beschleunigen sich. Wir sind voller Energie.
Im Gehirn findet eine archaische Anpassung an. Während unsere intellektuellen Fähigkeiten drastisch herunter gefahren werden, steigt unsere Bereitschaft, Entscheidungen zu treffen, erheblich an. Und je mehr wir den Durchblick verlieren, desto alternativloser erscheinen uns unsere Gedanken und Entscheidungen.
Wir alle kennen diese Szenen, und wohin sie in den meisten Fällen führen. Aus eigenem Erleben oder zumindest aus Anschauung.
Je stärker hierbei das Gefühl, desto höher ist die Ausschüttung der entsprechenden Stresshormone und desto stärker ihre intellektuellen, emotionalen und sozialen Wirkungen.
In meinen Augen besteht das Geheimnis im Umgang mit dem Ärger darin, ihn zu erkennen, wenn er noch klein ist. Je früher wir erkennen, dass wir mit einer Situation oder Entwicklung nicht einverstanden sind, desto geringer ist die bisherige Konzentration von Stresshormonen im Blutkreislauf. Unser Körper ist aktiviert und handlungsbereit, noch sind wir allerdings intellektuell relativ klar, emotional noch unaufgebracht und sozial bislang unauffällig geblieben.
Dies ist der ideale Zeitpunkt, um einen Schritt zu tun, eine Entscheidung zu fällen oder unser Wort zu erheben.
Je länger wir damit warten, desto höher wird Stunde um Stunde, Woche um Woche, Jahr um Jahr die Konzentration an Stresshormonen im Blut, wenn wir erneut der gleichen Person, der gleichen oder einer ähnlichen Situation ausgesetzt sind. Je höher diese Konzentration, desto höher ist 1:1 die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns daraufhin in einer Weise verhalten werden, die wir später, wenn Atem, Blut und Gedanken wieder etwas langsamer fließen, bitter bereuen werden.
Vier Stufen des Ärgers:
Stufe 1 (Grundform): Ablehnung
Stufe 2 (Positivform): Ärger
Stufe 3 (Elativform): Wut
Stufe 4 (Exzessivform): Rage
Komplexe Formen des Ärgers:
Beispiele für komplexe Formen des Ärgers: Zorn, Hass, Neid, Empörung, Frustration, Genervtheit, Spott, Rachsucht, Entschlossenheit, Mut, …
Der Ärger und was er in unserem Körper und Geist anstellt, ist die ideale Antwort der Evolution auf Situationen, in denen unsere Bedürfnisse nicht erfüllt sind, wir aber etwas daran ändern können. Was aber, wenn unsere Bedürfnisse nicht erfüllt sind, wir genau das jedoch nicht ändern können?
Traurigkeit: Annehmen und weiter gehen.
„Gefährlich und schlecht sind nur jene Traurigkeiten, die man unter die Leute trägt, um sie zu übertönen; wie Krankheiten, die oberflächlich und töricht behandelt werden, treten sie nur zurück und brechen nach einer kleinen Pause um so furchtbarer aus; und sammeln sich an im Innern und sind Leben, sind ungelebtes, verschmähtes, verlorenes Leben, an dem man sterben kann.“
Rainer Maria Rilke
So schade es ist: Es gibt Dinge, die können wir nicht verändern, so gerne wir sie auch verändern wollten. Wir können uns ärgern, und vielleicht haben wir das bereits getan. Aber aller Ärger läuft ins Leere, wenn das, was er verändern will, schlicht und einfach nicht zu ändern ist.
Es gibt Dinge, die können wir nicht verändern.
So lange wir uns damit abmühen, dem Unveränderlichen unsere Stirn zu bieten, so lange kleben wir an dieser Erfahrung fest. Wohlmeinende Küchenpsychologen raten an dieser Stelle gerne: „Lass einfach los!“. Doch wer schon einmal in einer solchen Situation war, der weiß, dass die gutherzige Empfehlung zum Loslassen wie eine Leerfloskel rüber kommt und sich nicht selten darüber hinaus anfühlt wie ein Schlag ins Gesicht.
Doch wie können wir hilfreicher damit umgehen, dass unser Wunsch (und das Bedürfnis zu seinen Wurzeln) bei all der Kraft unseres Wünschens ohne Erfüllung bleibt und möglicherweise noch für lange Zeit oder gar bis in alle Ewigkeit unerfüllt bleiben wird?
So hart es in vielen Situationen unseres Lebens auch sein mag: Der Schlüssel zur Erlösung besteht darin, anzunehmen, was ist. Dafür hat Mutter Evolution die Traurigkeit erfunden.
Was passiert, wenn wir traurig sind?
Derzeit werden die Gefühle von Traurigkeit eher mit dem Fehlen spezifischer Hormone (z.B. Serotonin) in Verbindung gebracht als mit der Ausschüttung spezifischer Botenstoffe.
Traurigkeit führt dazu, dass wir uns von der Welt zurückziehen. Und uns auf uns selbst besinnen. Wie lange und wie radikal dieser Rückzug ausfällt, hängt davon ab, wie intensiv und lebensbestimmend dieser Prozess erlebt wird.
Ähnlich dem Ärger ist auch bei der Traurigkeit die Wirksamkeit und Nützlichkeit dieses Gefühls auf der Grundstufe (Bedauern) am höchsten. Je stärker die Traurigkeit wird, desto mehr verflacht das Denken, bis die Welt schließlich nur noch in zweidimensionaler Überspitzung wahrgenommen wird.
So lange wir das, was wir erfahren, noch schrecklich, furchtbar, grausam, unmenschlich oder schlimm finden, findet keine Annahme statt. Annahme geschieht an dem Punkt, wo wir das, was uns geschieht, als „schade“ interpretieren.
Die Annahme führt schließlich von allein und auf direktem Wege zum Loslassen. Und sie allein ist es, die uns loslassen lässt, woran wir zuvor mit verkrampften Fingern festgehalten haben. Wer loslassen möchte, muss annehmen üben.
Dazu brauchen wir einen liebevollen Blick auf unsere eigenen Grenzen, auf unsere Unvollkommenheit und Ohnmacht. Diese Aspekte unseres Seins haben allerdings bislang in unserer aktuell vorherrschenden Macher-Kultur einen schweren Stand.
Vier Stufen der Traurigkeit:
Stufe 1 (Grundform): Bedauern
Stufe 2 (Positivform): Traurigkeit
Stufe 3 (Elativform): Trauer
Stufe 4 (Exzessivform): Verzweiflung
Komplexe Formen der Traurigkeit:
Mitleid, Selbstmitleid, Kummer, Sorge, Reue, Langeweile, Einsamkeit, Melancholie, Vergebung, …
Ärger und Traurigkeit als Zwillingskräfte
„Die Neigungen des Herzens sind geteilt wie die Äste einer Zeder. Verliert der Baum einen starken Ast, so wird er leiden, aber er stirbt nicht. Er wird all seine Lebenskraft in den nächsten Ast fliessen lassen, auf dass dieser wachse und die Lücke ausfülle.“
Khalil Gibran
Wenn wir erleben, dass unsere Bedürfnisse nicht erfüllt werden, dann werden wir daraufhin traurig oder ärgerlich. Je nachdem, ob wir uns in der Lage sehen, unsere Situation und/oder Aussicht zu verändern, oder nicht.
Unser Körper ist klüger als so mancher Geist. Viele von uns glauben, wir würden Situationen erleben, die uns entweder traurig oder ärgerlich machen. Wenn wir genauer und etwas länger hinschauen allerdings, stellen wir fest, dass Empfindungen von Traurigkeit und Ärger in derartigen Situationen im stetigen Wechsel auftreten. Eines steht im Vordergrund, gewiss. Jedoch ist das andere niemals weit entfernt.
Warum behaupte ich, dies zeige, dass unser Körper klüger ist als unser Verstand?
Weil unser Körper offenbar weiß, dass die allermeisten Situationen, in denen wichtige Bedürfnisse unerfüllt bleiben, sowohl Aspekte enthalten, die wir als unabänderlich annehmen müssen, als auch solche, die wir durchaus zu unserem Vorteil verändern können.
Darum liegen Traurigkeit und Ärger so oft so nahe beieinander. Es ist ein Zeichen dafür, wie klug unser Körper ist. Er stellt uns in solchen Situationen beide Werkzeuge, die wir benötigen, zur Verfügung.
Wer also mit Ungemach im Leben leichter und wirksamer Umgang finden will, der ist daran gut beraten, beide Werkzeuge im rechtem Maß und rechter Weise nutzen zu lernen.
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klüger fühlen 05 – Der schillernde Kosmos unserer komplexen Gefühle
klüger fühlen 06 – Klüger fühlen!
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