klüger fühlen 06 – Klüger fühlen!

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klüger fühlen!

Inhalt:

klüger fühlen 01 – Warum wir fühlen
klüger fühlen 02 – Eine neue Ordnung der Gefühle
klüger fühlen 03 – Grundgefühle 1. Ordnung
klüger fühlen 04 – Grundgefühle 2. Ordnung
klüger fühlen 05 – Der schillernde Kosmos der komplexen Gefühle
klüger fühlen 06 – Klüger fühlen!

 

 

klüger fühlen 06:

Klüger fühlen!

„Höchste Weisheiten sind belanglose Daten,
wenn man sie nicht zur Grundlage von
Handlungen und Verhaltensweisen macht.“

Peter F. Drucker

Was ergibt sich aus diesem Modell unserer Gefühle für unseren täglichen Umgang mit ihnen? Welche Schlüsse lassen sich ziehen, und wie können diese uns im Umgang mit unserem eigenen Gefühlsleben hilfreich sein?

Dieses letzte Kapitel führt uns von der Theorie zurück ins wahre Leben. Dort schließlich haben viele von uns es immer wieder mit schwierigen Gefühlen zu tun.

Die Eleganz dieses Modells liegt darin, dass wir nicht mehr jedes einzelne unserer mannigfaltigen Gefühle verstehen und durchleuchten müssen.

All unsere Gefühle entstehen aus den 6 Grundkräften Freude, Ärger und Traurigkeit, Überraschung, Angst und Lust. Kaum eines enthält mehr als eines oder zwei dieser Grundgefühle in relevanter Stärke. Diese Grundkräfte allerdings definieren bereits die Richtung und das Ziel der zum Ausdruck kommenden emotionalen Energie. Wir müssen lediglich in der Lage sein, diese 6 unterschiedlichen Energien in unserem eigenen Erleben zu differenzieren und zu identifizieren.

Hierzu braucht es kein langes Training. Das ist nicht schwer.

Wie diese basale Unterscheidung unseren Umgang mit unseren „schwierigen“ Gefühlen radikal vereinfacht, zeige ich im zweiten Teil dieses Abschnitts.

Zunächst jedoch möchte ich unsere gemeinsame Aufmerksamkeit auf jene Gefühle lenken, die uns in aller Regel keine großen Probleme machen. Das bedeutet allerdings nicht, dass es egal wäre, wie wir mit ihnen umgehen.

 

Freude und Lust: Have a good time!

„Ich fühle mich heute so energetisiert, als hätte man
in meinen Genen die Doppelhelix von beiden Seiten
mit Lunten angezündet.“
Christa Schyboll

Es ist fast ein wenig seltsam, dies überhaupt zum Thema zu machen. Sollten wir doch davon ausgehen, dass kaum ein Mensch überhaupt etwas besseres zu tun wüsste, als Freude und Lust (und auch ein bisschen Überraschung) in sein Leben einzuladen.

Traurigerweise ist dem gar nicht so.

Viele Menschen in unserer Kultur haben in der Tat große Hemmungen darin, sich wirklich über Dinge oder auf Dinge zu freuen. Zwar benennen sie Freude, aber ihre Augen leuchten dabei nicht, so wie es bei gefühlter Freude der Fall ist. Das Konzept von „Freude über“ oder „Lust auf“ existiert für diese Menschen sehr wohl. Allerdings fühlen sie diese Gefühle nur in begrenztem Maße.

Erinnern wir uns:

Die Freude verstärkt neuronale Bahnen immer dann, wenn unser System eine Befriedigung von Bedürfnissen erlebt. Zwar lernt unser System auch an den unangenehmen Gefühlen, an der Freude aber lernt es, was funktioniert.

Die Lust erhöht unser Energieniveau in Vorbereitung auf ein zukünftiges Ereignis. Selbst wenn das, worauf wir uns freuen, noch in einiger Zukunft liegt, steht uns die durch die Lust entstandene Energie im Hier und Jetzt zur Verfügung. Dieser Energie nämlich ist es egal, ob wir sie dafür nutzen, um unsere Fäuste zu ballen und zu schmollen, im Zimmer auf und ab zu gehen, die Fenster zu putzen, zu joggen oder ein Projekt voran zu treiben.

Wir können uns entscheiden, hohe Hürden an das zu legen, worüber und worauf wir uns freuen. Dies wird allerdings ohne jeden Zweifel die Auswirkung haben, dass wir uns von nun an seltener freuen. Außerdem führt es dazu, dass unser Gehirn weniger von dem lernt, was uns gut tut.

Ich persönlich habe mich dafür entschieden, in diesem Leben, das möglicherweise mein einziges ist, Freude und Lust möglichst häufig und möglichst intensiv zu fühlen. Darum freue ich mich viel und gerne über und auf kleine Dinge.

Mein eigenes Leben ist dadurch bedeutend vielfältiger und reicher geworden, als es vorher war. Mir ganz persönlich gefällt das ausgesprochen gut.

 

„Überraschung!!!“

„Zu mancher richtigen Entscheidung kam es nur,
weil der Weg zur falschen gerade nicht frei war.“
Hans Krailsheimer

Nicht jede Überraschung, die wir erfahren, ist uns willkommen. Manche erleben wir als Enttäuschung. In der Tat ist jede Überraschung, ob positiv oder negativ, genau dies:

Eine Ent-Täuschung.

Die Überraschung lehrt uns, dass unsere Annahmen fehlerhaft waren – sei dies in die eine oder in die andere Richtung. Das bedeutet: Der Moment der Überraschung ist ein Moment des Lernens. Wir erfahren mehr über die Situation, in der wir uns befinden.

Je besser wir die Welt, das Leben und unsere Mitmenschen kennen, desto bewusster und leichter können wir unser Leben leben. Dafür ist es allerdings notwendig, dass wir immer wieder ent-täuscht werden. Beziehungsweise: überrascht.

Daher sollten wir das Leben und unsere Mitmenschen bereitwillig dazu einladen, uns immer wieder zu überraschen und zu ent-täuschen. Damit unser Blick auf uns selbst, das Leben, die Welt und die Menschen um uns herum so klar und ungetrübt werden kann, dass wir sehen, was wirklich ist.

 

Ärger und Traurigkeit: „love it, change it, leave it!“

„Die Natur muss gefühlt werden.“
Alexander von Humboldt

Grundlage all unseren Fühlens ist ist der Zustand unserer körperlichen oder psychischen Bedürfnisse. Diese Tatsache ist vor allem im Umgang mit Ärger und Traurigkeit massiv relevant.

Da uns Ärger und Traurigkeit auf den Zustand unserer Bedürfnisse hinweisen, wir zu diesen jedoch zumeist nur indirekten Zugang finden, lauten die zwei ersten Grundfragen im Umgang mit ihnen:

1. Welcher meiner Wünsche ist gerade unerfüllt?
2. Welches Bedürfnis kommt durch diesen Wunsch zum Ausdruck?

Je klarer ich in der Lage bin, die Bedürfnisse hinter meinen Wünschen zu erkennen und zu benennen, desto flexibler werden meine Wünsche, weil ich weiß: Nicht sie sind es, worum es geht, sondern unsere ursprüngliche Bedürfnisse dahinter.

Sobald ich die aktuell unerfüllten Bedürfnisse identifiziert habe, stellen sich sich nächsten beiden Fragen:

3. Gibt es etwas, das ich tun kann, um diesen Zustand zu ändern? Und wenn ja:
4. Bin ich gewillt, in der Lage und bereit, das hierfür Notwendige zu tun?

Lautet die Antwort auf diese Fragen „ja!“, dann ist es an der Zeit, mein Bestes zu geben, um die Situation, in der ich mich befinde, zu verändern. Die beste Energie hierfür ist die Entschlossenheit – die reine, konstruktive Kraft des Ärgers.

Ist die Antwort auf eine der beiden letzten Fragen ein „nein!“, dann ist es an der Zeit, das, was ich nicht ändern kann (oder will) anzunehmen, auch wenn dadurch wichtige Bedürfnisse unerfüllt bleiben. Die Energie, die uns dies möglich macht, finden wir in der Traurigkeit.

Jeder Funken unserer Lebenskraft steht uns nur einmal zur Verfügung. Wir können ihn dafür verwenden, an Dingen herumzuzerren, die wir nicht verändern können. Oder wir stecken ihn in diejenigen Dinge, die wir verändern können. Im Grunde erscheint die Entscheidung leicht.

Damit wir diese Wahl jedoch treffen können, ist es notwendig, dass wir sowohl Ärger als auch Traurigkeit als positive Kräfte unseres Lebens erkennen und anerkennen. So lange wir uns eines dieser beiden Gefühle untersagen, weil wir glauben dadurch würden wir „böse“ oder „schwach“, so lange steht uns die diesem Gefühl innewohnende Kraft nicht zur Verfügung.

 

Angst

„Schau der Furcht in die Augen,
und sie wird zwinkern.“
Russisches Sprichwort

Jede Angst, die wir fühlen, ist auf ein Ereignis in der Zukunft ausgerichtet. So lange dieses Ereignis, das wir fürchten, in der Zukunft liegt, werden wir daher Angst empfinden – wahlweise in ihrer Reinform oder aber als komplexe Stimmung der Sorge, des Unbehagens, des Misstrauens oder der Schüchternheit.

Den größten Teil dieser Zeit über dringt diese Angst nicht in unser Bewusstsein. Wir spüren sie allerdings, wenn wir Acht geben, als latente Dauerspannung, die dazu führt, dass wir an Eleganz verlieren, leichter Fehler machen und bedeutend häufiger in Konflikte geraten. Außerdem verbraucht diese Spannung unsere Energie.

Ein guter Umgang mit der Angst ist weitaus diffiziler als mit Ärger oder Traurigkeit. Schließlich sind Ungewissheit und Unklarheit ihr Wesenskern. Die Angst erhält sich selbst durch Spekulationen, Ahnungen und Andeutungen aufrecht. Daher ist es klug, der Angst mit wachem Geist zu begegnen. Anders wird es uns nicht gelingen, die tatsächlichen Fakten, Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten aus dem emotionalen Durcheinander zu extrahieren, mit dem die Angst uns unter Spannung setzt.

Fragen im Umgang mit der Angst:

1. Wovor fürchte ich mich eigentlich genau?
2. Wie wahrscheinlich ist das Ereignis, das ich fürchte?
3. Welche Konsequenzen hätte dieses Ereignis schlimmstenfalls auf mein Leben? (worst case scenario)
4. Welche positiven Alternativszenarien wären möglich? (best case scenario)
5. Welche Möglichkeiten habe ich, aktiv auf das Ereignis einzuwirken?
6. Welche Möglichkeiten habe ich noch?
7. Welche Möglichkeiten habe ich noch?

Eine handfeste Strategie im Angesicht von Angst besteht darin, diejenigen Dinge, vor denen wir uns fürchten, so bald wie möglich zu tun. Dieses eine Gespräch so bald wie möglich zu führen. Diese eine Information so bald wie möglich einzuholen. Diese eine Entscheidung so bald wie möglich zu fällen.

In dem Augenblick, in dem das, wovor wir Angst hatten, Wirklichkeit wird, verwandelt sich die Angst. Entweder in Ärger oder in Traurigkeit oder in Freude. Was immer passieren wird, wenn es passiert: Danach haben wir Gewissheit.

 

Der Haken an der Sache…

„Man reist ja nicht um anzukommen,
sondern um zu reisen.“

Johann Wolfgang von Goethe

Einige der Leserinnen und Leser werden zwischendurch gedacht haben: So einfach kann es nicht sein.

In der Tat: das stimmt.

Das bedeutet nicht, dass dieses Modell nicht genau so Bestand hat, wie ich es in dieser Artikel-Reihe vorgestellt habe.

Allerdings ist das, was wir das „ich“ nennen, in meinen Augen mit Nichten ein Phänomen im Singular, sondern im Plural. Unsere Psyche besteht aus vielen (bei Erwachsenen im Schnitt 15-20) verschiedenen inneren Instanzen oder Anteilen.

Diese Instanzen, Aspekte oder Anteile unserer Persönlichkeit erzeugen in ihrem Zusammenwirken das, was wir „ich“ nennen. Und da diese Anteile in uns voneinander verschieden sind, haben sie zum Teil sehr unterschiedliche Auffassungen über das, was uns geschieht, treten ein für die Erfüllung verschiedener Grundbedürfnisse und erleben in Anbetracht der derzeitigen Bedürfniserfüllungslage Gefühle der einen oder anderen Art.

Wenn wir uns selbst und unserem Fühlen wirklich auf die Schliche kommen wollen, ist es also, hilfreich und nützlich, uns immer wieder die Frage zu stellen:

Wer in mir ist es, der das fühlt?

Dieser Frage aber gehen wir an anderer Stelle nach.

 

 

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Inhalt:

klüger fühlen 01 – Warum wir fühlen
klüger fühlen 02 – Eine neue Ordnung der Gefühle
klüger fühlen 03 – Grundgefühle 1. Ordnung
klüger fühlen 04 – Grundgefühle 2. Ordnung
klüger fühlen 05 – Der schillernde Kosmos der komplexen Gefühle
klüger fühlen 06 – Klüger fühlen!

 

 

Die Reihe „klüger fühlen!“
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Was die Anderen sagen:

ZEIT online: Hormone – Die Dirigenten unseres Lebens

wikipedia.de: Evolutionäre Emotionsforschung

spektrum.de: Emotionen (Essay)

spektrum.de: Klassifikation von Emotionen

sein.de: Bewusstseinswandel: Die Evolution der Emotionen

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klüger fühlen 05 – Der schillernde Kosmos unserer komplexen Gefühle

Leser-Wertung

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klüger fühlen!

Inhalt:

klüger fühlen 01 – Warum wir fühlen
klüger fühlen 02 – Eine neue Ordnung der Gefühle
klüger fühlen 03 – Grundgefühle 1. Ordnung
klüger fühlen 04 – Grundgefühle 2. Ordnung
klüger fühlen 05 – Der schillernde Kosmos unserer komplexen Gefühle
klüger fühlen 06 – Klüger fühlen!

 

Vielleicht

klüger fühlen 05:

Der schillernde Kosmos unserer komplexen Gefühle

„Liebe – auch so ein Problem, das Marx nicht gelöst hat.“
Jean Anouilh

Freude, Ärger und Traurigkeit, Überraschung, Angst und Lust sind unsere 6 Grundgefühle. Ähnlich den Farbtöpfchen in einem Tuschkasten lassen sich auch aus ihnen viele andere Gefühlsschattierungen mischen und auf die Leinwand unseres Bewusstseins malen. Die „Pinsel“, mit denen wir diese emotionalen „Kunstwerke“ unseres Alltag anfertigen, sind unsere Gedanken.

Anstatt das Zusammenwirken von Gedanken und Gefühlen theoretisch zu umreißen, werde ich einige der von mir als „komplexe Gefühle“ bezeichneten Empfindungen unseres Alltags aus dieser Perspektive näher beleuchten.

Vielleicht eröffnet sich dadurch ein neuer Zugang zu manchen jener Gefühle, die wir an uns selbst oder Anderen als störend oder gar belastend empfinden.

In diesem Artikel beschreibe ich die Liebe und die Eifersucht, Missgunst und Neid, Zufriedenheit, Unzufriedenheit und (die aus letzterer entstehende) Frustration, Sorge und Misstrauen und zuletzt die Kraft, die wir als „Mut“ kennen. Jede dieser Empfindungen ist so schillernd und vielgestaltig, dass die ausführliche Beschreibung ihres Charakters, ihrer unterschiedlichen Formen und ihrer Wechselwirkungen mit anderen Gedanken und Gefühlen, ein ganzes Buch füllen ließe.

Dieser Text ist daher nicht mehr als eine (mehr oder weniger) kurze Vorstellungsrunde, in der wir einige unserer komplexen Gefühle etwas persönlicher kennenlernen, als uns dies im Alltag bislang vielleicht gelungen ist.

Möglicherweise jedoch kann diese kurze Beschreibung dem einen oder der anderen von uns dabei behilflich sein, eine stabilere, liebevollere und/oder pragmatischere Beziehung zu einigen dieser schillernden Phänomene unseres Gedanken- und Hormonhaushalts aufzubauen.

Und da sie vielleicht die schillerndste und vielgestaltigste unter all unseren Empfindungen ist, gebe ich das Wort zu Beginn dieser kleinen Runde an jene große Zauberin, Entertainerin und Abenteuerin, die wir „die Liebe“ nennen:

 

Die Liebe (ist ein seltsames Ding)

„Amor ist der größte Spitzbube unter den Göttern;
der Widerspruch scheint sein Element zu sein.“
Giacomo Casanova

Die Liebe, ach die Liebe! Festmeter an Romanen, Fachbüchern und Songtexten behandeln dieses vielfarbig funkelnde Gefühl. Und doch kriegen wir es nicht zu fassen.

Bereits vor mehr als zweieinhalb tausend Jahren unterschieden die großen Denker des alten Griechenlands vier verschiedene Zustände, die in der deutschen Sprache allesamt als „Liebe“ bezeichnet werden. Die Griechen kannten:

Philia – die freundschaftliche „Liebe“. Philia ist der Grundstoff menschlicher Beziehungen auf der Basis von Gegenseitigkeit und Ebenbürtigkeit. Ihre Kernbestandteile sind Anerkennung, Wertschätzung und gegenseitige Unterstützung.

Storge – die elterliche „Liebe“. Storge ist die Blaupause all dessen, was wir als „bedingungslose Liebe“ bezeichnen. Storge erwartet keine Gegenleistung. Ihre Befriedigung zieht diese Form des Liebens aus dem Akt des Gebens selbst. Evolutionär betrachtet ist sie (nach Eros) die Zweitgeborene unter den Lieben und entfaltete ihre Wirkung auf Erden, lange bevor der erste Mensch seinen Fuß in die Savannen Afrikas setzte.

Agape – die entschlossene bzw. spirituelle „Liebe“. Agape ist das hohe Ideal der frühchristlichen Gemeinschaften. Agape liebt, ähnlich der Storge, ohne den Blick auf den eigenen Nutzen. Agape liebt, weil es „Gottes Wille“ ist, weil es „das Richtige“ ist oder auch, weil es „meine Entscheidung“ ist. Dadurch ist Agape, bei Lichte betrachtet, mehr Gedanke und innere Haltung als Gefühl.

Und schließlich: Eros – die romantische, leidenschaftliche und erotische „Liebe“. In seinem Hauptwerk Theogonie (sinngemäß: „Von der Entstehung der Götter“) beschreibt der griechische Dichter Hesiod Eros als einen der drei ersten Götter, die sich aus dem Chaos erheben. Die anderen beiden sind Gaia (Erde) und Tartaros (Unterwelt). Dies zeigt ohne jeden Zweifel, welchen Stellenwert und welche Macht Hesiod dem Eros zumaß. Hesiod beschreibt Eros als den „schönsten unter den unsterblichen Göttern“ und führt aus, dass sowohl Götter als auch Menschen seiner Macht unterworfen und ausgeliefert seien. Eros ist der Gott aller sexuellen Anziehungen, Lüste und Begehren. Er ist es, der uns immer wieder Lust macht, uns miteinander zu paaren. Dabei schert er sich bekanntermaßen wenig darum, ob diese Paarungslust mit unseren eigenen Vorstellungen oder denen unserer jeweiligen Kultur kompatibel ist. In Eros‘ Augen sind wir nichts als Tiere. Kultur, Moral oder „sittliche Werte“ amüsieren ihn durchaus. Gegen seinen Willen allerdings sind sie so wertvoll und wirksam wie ein Cocktailschirmchen gegen einen Orkan.

Die alten Griechen hatten ganz offensichtlich eine bedeutend differenziertere Herangehensweise an das Thema „Liebe“, als wir es heute haben. Noch feiner unterscheidet das indische Sanskrit, das mindestens 15 verschiedene Begriffe für jene vielfältigen Gefühlsregungen kennt, die wir in nur einem einzigen Wort zusammenfassen und zu verstehen glauben.

Ein Kernbestandteil jeder Art von Liebe ist zweifelsohne die Freude. Welche Freude dies allerdings ist, hängt ganz entscheidend davon ab, in welcher Bedeutung wir das Wort „Liebe“ verwenden. Erleben wir die Freude am Wachstum und Wohlergehen eines Freundes (Philia) oder eines unserer Kinder (Storge), so ergibt sich daraus ein ganz anderes Gefühlserleben, als wenn wir uns auf erotische Weise von einem anderen Menschen angezogen fühlen. Noch einmal anders ist es mit der Agape, jener Geisteshaltung (!), die im Christentum „Nächstenliebe“ und im Buddhismus „Prema“ bzw. „Bhakti“ genannt wird – und von beiden spirituellen Schulen als höchste und reinste Form nicht nur des Liebens, sondern all unseres Umgangs mit der Schöpfung und uns selbst verehrt wird.

Was wir „Liebe“ nennen, ist daher weit mehr als nur „ein Gefühl“. Eros und Storge sind biologische Triebe, die Mutter Evolution uns mitgab, um unser Überleben auf Erden zu sichern. Philia und Agape dagegen sind geistige Haltungen und Entscheidungen über den Umgang mit bestimmten Menschen unseres Lebens oder aber der gesamten Schöpfung gegenüber.

 

Eifersucht

„Alles, was gegen die Natur ist,
hat auf die Dauer keinen Bestand.“

Charles Darwin

Wie tiefgreifend die Verwirrung im Umgang mit der Liebe in unserer Kultur ist, zeigt sich am Phänomen der Eifersucht.

Wichtigste Grundzutat der Eifersucht ist sicherlich die Angst. Allerdings ist auch der Ärger nicht selten ein essentieller Bestandteil dieses Gefühls.

Wann empfinden wir Eifersucht?

Eifersucht entsteht, wenn wir erleben (oder uns gedanklich ausmalen(!)), dass ein Mensch, mit dem wir uns tief verbunden fühlen, eine intensive Beziehung zu einem anderen Menschen eingeht, und wir darüber hinaus (!) befürchten, diese intensive Beziehung hätte negative Auswirkungen auf die Beziehung, die wir selbst zu dieser Person führen.

Folgerichtig ist das Phänomen Eifersucht insbesondere bei Menschen zu finden, deren „Liebesbeziehungen“ auf dem Prinzip von Besitz und Anspruchsdenken begründet sind.

Wer seinen „Liebespartner“ als sein Eigentum betrachtet, muss natürlicherweise fürchten, dass ihm dieses wertvolle Gut von anderen Männern oder Frauen streitig gemacht und in letzter Konsequenz sogar geraubt werden kann.

Derartige Beziehungen basieren in der Regel auf einer Grundhaltung des gegenseitigen Misstrauens und des beständigen Versuchs der gegenseitigen Kontrolle. Da jedoch kaum ein Mensch über lange Zeit daran Gefallen findet, immerfort kritisch beäugt zu werden, sich erklären zu müssen oder in seinem Verhalten eingeschränkt zu sein, gilt die Eifersucht in therapeutischen Kreisen nicht ohne Grund als Großmeisterin der sich selbst erfüllenden Prophezeiungen.

 

Missgunst oder Neid?

„Der Neid ist die aufrichtigste Form der Anerkennung.“
Wilhelm Busch

Eng verwandt mit der Eifersucht ist das Gefühl der Missgunst, das daher auch nicht selten mit dieser gemeinsam auf den Plan tritt. Das ihr zu Grunde liegende Gefühl 1. Ordnung ist der Ärger. Allerdings richtet sich dieser Ärger nicht auf Dinge, die wir selbst erleben, sondern auf unsere Interpretationen des Erlebens Anderer.

Missgunst sagt: „Das, was du hast, verdienst du nicht!“ Oder gar: „Das, was du hast, steht in Wirklichkeit mir zu!“

Die Tatsache (oder Annahme!), dass ein anderer Mensch das bekommt oder erlebt, was wir ihm nicht gönnen oder sogar für uns selbst einfordern, erleben wir als existenzielle Demütigung. Der Zorn, den wir daraufhin und darüber empfinden, richtet sich daher nur zum Teil auf den anderen Menschen. Ein weiterer Bestandteil der Missgunst ist ein amorpher Groll auf „Gott“, „das Schicksal“ oder „die Ungerechtigkeit des Lebens“ schlechthin.

Missgunst ist ein durch und durch destruktives Gefühl.

Ganz anders ist es um den Neid bestellt. Dieser wird vielfach mit der Missgunst verwechselt, ist jedoch bei näherer Betrachtung von diesem sehr verschieden.

Auch der Neid basiert auf Ärger. Anders als die Missgunst sagt der Neid jedoch nicht „Das, was du hast, verdienst du nicht!“, sondern „Das, was du hast, das will ich auch!“ So ähnlich diese Gedanken klingen mögen, sie unterscheiden sich in einem ganz zentralen Punkt:

Der Neid ist, ganz entgegen seinem öffentlichen Ruf, (zumindest potenziell) eine konstruktive Energie, die uns dazu motivieren kann, Dinge zu tun, die uns (zumindest potenziell) dazu befähigen, das, was der oder die Andere hat, auch selbst zu bekommen oder zu erfahren. Die Missgunst dagegen beschränkt sich auf klagende Passivität.

Es macht also einen großen Unterschied, ob wir auf die Erkenntnis „Du hast da etwas, das ich haben will!“ mit Missgunst oder mit Neid reagieren. Welche Wahl wir in dieser Frage treffen, liegt bei jedem und jeder von uns allein.

 

Zufriedenheit, Unzufriedenheit und Frustration

„Die meisten Menschen machen sich selbst bloß durch
übertriebene Forderungen an das Schicksal unzufrieden.“

Wilhelm von Humboldt

Zufriedenheit und Unzufriedenheit sind die gedanklichen Entsprechungen unserer Grundgefühle erster Ordnung (Freude, Ärger, Traurigkeit).

Anders als diese Grundgefühle allerdings sind Zufriedenheit oder Unzufriedenheit keine instantanen emotionalen Reaktionen unseres Systems auf konkretes Erleben, sondern auf eine höhere Ebene der Interpretation und Abstraktion, auf der unser Geist formuliert: „So, wie es ist, ist es gut.“ bzw. „So, wie es ist, ist es nicht gut.“

Zufriedenheit und Unzufriedenheit stellen also gedankliche Bewertungen dar, die über das Erleben im Moment hinaus reichen. Ähnlich dem Zensurensystem in vielen Schulen fallen in dieser Bewertung allerdings viele relevante Informationen vom Tisch.

So kann ein Mensch sehr wohl mit seinem Leben zufrieden sein, auch wenn ihn spezifische Aspekte seines Lebens traurig oder ärgerlich machen, oder unzufrieden, auch wenn es im Hier und Jetzt konkreten Anlass zur Freude gibt.

Auch, welche Anteile der Unzufriedenheit auf Ärger und auf Traurigkeit beruhen, ist in aller Regel nicht direkt ersichtlich. Dadurch fehlen der Unzufriedenheit die wirksamen Werkzeuge des Ärgers und der Traurigkeit. Weder motiviert sie uns dazu, die uns umgebenden Umstände entschlossen anzupacken und zu ändern (Ärger), noch hilft sie uns dabei, das, was wir nicht ändern können, in Demut anzunehmen (Traurigkeit).

Die Steigerung der Unzufriedenheit heißt „Frustration“ und beruht ebenso wie ihre Grundform auf der undifferenzierten Abwertung unseres Lebens und Erlebens als „schlecht“.

Unzufriedenheit kann durchaus eine motivierende Kraft entfalten. Da ihr jedoch die Unterscheidungsfähigkeit der reinen Gefühle fehlt, richtet sie ihre Hoffnung in aller Regel allein auf die Werkzeuge des Ärgers. Dieser kann jedoch nur einen Teil dessen, was wir als unzufriedenstellend erleben, verändern. Manche Aspekte unseres Lebens und Erlebens jedoch lassen sich nicht ändern.

So verbrennt unsere Unzufriedenheit Unmengen an Energie bei dem Versuch, Dinge zu ändern, die per definitionem nicht zu ändern sind. Wir verausgaben unsere begrenzte Lebensenergie, ohne dass sich dadurch etwas zum Guten wendet. Die emotionale Folge dieser beständigen Erfahrung des Scheiterns nennen wir „Frustration“.

 

Stolz und Scham

„Wenn du dazu berufen bist, Straßen zu kehren, dann kehre sie, wie Michelangelo Bilder malte, oder Beethoven Musik komponierte, oder Shakespeare dichtete. Kehre die Strasse so gut, dass alle im Himmel und auf Erden sagen: „Hier lebte ein großartiger Straßenkehrer, der seinen Job gut gemacht hat!““
Martin Luther King

Stolz (Grundgefühl: Freude) und Scham (Grundgefühl: Traurigkeit) sind mit Zufriedenheit und Unzufriedenheit eng verwandt. Genau genommen sind es Unterformen der vorgenannten Gefühle.

Ebenso wie Zufriedenheit und Unzufriedenheit basieren Stolz und Scham auf geistigen Bewertungen. Diese betreffen jedoch nicht die uns umgebenden Aspekte unseres Lebens, sondern unseren Eindruck von uns selbst.

Was genau bei einem einzelnen Menschen die Gefühle von Stolz oder Scham auslöst, kann dabei von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein. Wir können Stolz oder Scham empfinden in Bezug auf unseren Körper, unsere Gedanken, unsere Gefühle, unsere Leistungen, unsere Fähigkeiten oder unsere vergangenen Entscheidungen. Hierbei ist es zumeist wenig relevant, ob die Dinge, die wir an uns selbst wertschätzen oder kritisieren, überhaupt in unserer Verantwortung liegen.

Die Region der Welt und die Familie, in die wir geboren werden, unsere genetische Ausstattung oder gar das Verhalten völlig anderer Menschen (seien dies unsere Eltern, unsere Kinder oder Gäste einer Talkshow, die wir schauen) – all dies ist in der Lage, in uns Gefühle des Stolzes oder der Scham zu erzeugen. Nicht ohne Grund (oder in Mangel an Auslösern) nahm der Duden den Begriff „fremdschämen“ im Jahr 2009 in seinen Kanon der deutschen Sprache auf.

Der Stolz, den Eltern, Lehrer oder wir alle empfinden, wenn unsere Kinder, Schüler, Freunde oder Liebespartner eine bemerkenswerte Leistung erbringen oder eine mutige Entscheidung treffen, basiert auf derselben Vermischung von ich und du.

Ganz ähnlich wie Zufriedenheit und Unzufriedenheit in Bezug auf das Leben, so stehen auch hinter Stolz und Scham eherne und oft unhinterfragte Überzeugungen darüber, was einen Menschen zu einem „guten“ („wertvollen“, „liebenswerten“, „schönen“, „erfolgreichen“…) oder einem „schlechten“ („minderwertigen“, „häßlichen“, „ablehnenswerten“, „erfolglosen“…) Menschen macht.

Die Kriterien, an denen wir hierbei uns selbst (und Andere) messen, sind häufig bereits im Kindesalter von den Ansichten der Eltern und anderer bedeutsamer Personen übernommen und niemals bewusst reflektiert worden.

Das bedeutet nicht, dass Stolz und Scham per se unnütz und leidbringend sein müssen. Im Gegenteil. Sie sind es nur, so lange der Fokus der Bewertung auf Eigenschaften liegt, die nicht in der eigenen Entscheidungskraft und Verantwortung liegen.

Innerhalb jener Aspekte unseres Lebens, die wir selbst entscheiden und verantworten können, entfalten Stolz und Scham ihre positive, gestaltende und wegweisende Kraft.

Wer stolz ist auf eine Entscheidung, die er getroffen hat, wird durch das Empfinden dieses Stolzes im weiteren Verlauf seines Lebens mit größerer Wahrscheinlichkeit in vergleichbaren Situationen wieder dieselbe oder eine ähnliche Entscheidung treffen. Wer sich dagegen für eine Entscheidung, ein Verhalten oder eine Aussage seiner Vergangenheit schämt, trägt durch diese Scham Sorge dafür, dass er in Zukunft in ähnlichen Situationen mit höherer Wahrscheinlichkeit anders agieren oder entscheiden wird.

So kann ein bewusster Umgang mit Scham und Stolz uns dabei behilflich sein, unser Leben in einer Weise zu führen und zu gestalten, dass wir eines Tages auf unseren Weg zurück blicken und mit gesunder Selbstzufriedenheit sagen: „Ja, das war mein Leben. Und ich bin stolz darauf, was ich aus diesem Leben gemacht habe.“

 

Sorge und Misstrauen

„Du hast die Wahl. Du kannst dir Sorgen machen,
bis du davon tot umfällst. Oder du kannst es vorziehen,
das bisschen Ungewissheit zu genießen.“

Norman Mailer

Die Grundenergie der Sorge und des Misstrauens ist in beiden Fällen die Angst. Allerdings ist diese Angst nicht auf konkretes Erleben bezogen, sondern eher auf die vage Ahnung, dass wahlweise das Leben („Gott“) oder aber ein Mitmensch es nicht gut mit uns meint. Aus dieser Annahme heraus entspringt die innere Überzeugung, uns schützen zu müssen. Da wir allerdings nicht genau wissen, wovor oder wie wir uns schützen können oder „müssen“, führen Sorge und Misstrauen zumeist nicht zu konstruktiv wirksamen Verhaltensweisen, sondern zu einer lähmenden oder aggressiv angespannten Grundhaltung dem Leben oder unseren Mitmenschen gegenüber.

Da wir es in unserem Leben immer wieder mit Situationen zu tun haben, in denen manche unserer Bedürfnisse (z.B. Sicherheit, Freiheit, Zugehörigkeit und andere) nicht erfüllt sind, und da wir hin und wieder durchaus Menschen begegnen, die gewillt sind, für die Erfüllung ihrer Wünsche und Bedürfnisse unser Ungemach billigend in Kauf zu nehmen, besitzen Sorge und Misstrauen offensichtlich das Potenzial, uns vor manchem Verdruss oder Leiden zu schützen. Allerdings ist der Preis dafür (s.o.) hoch.

Mit Sorge und Misstrauen nahe verwandt und doch ganz anders ist die Vorsicht, die Positivform der Angst. Anders als ihre Cousinen Sorge und Misstrauen allerdings ist die Vorsicht keine generalisierte Grundstimmung, sondern eine emotionale Feinjustierung konkreten Verhaltens. Wer vorsichtig ist, bleibt bewusst handlungsfähig. Wer misstraut oder sich sorgt, zumeist nicht.

 

Mut

„Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben,
sondern es ist die Entscheidung,
dass etwas anderes wichtiger ist als die Angst.“

Ambrose Red Moon

Welches Grundgefühl liegt wohl dem Mut zu Grunde?

Meine Antwort: Es ist der Ärger.

Die Annahme, Mut beruhe auf der Abwesenheit von Angst, führt sich bei genauerer Betrachtung ad hoc selbst ad absurdum. Es ist unmöglich, Mut zu empfinden, wenn wir uns rundum sicher und sorglos fühlen. Das Risiko oder gar die Gefahr sind geradezu Grundbedingungen dafür, dass Mut überhaupt entstehen kann.

Jedem mutigen Schritt vorwärts geht ein Zögern voraus. Dieses Zögern beruht auf Angst. Denn das, was wir nun tun werden, enthält das Risiko des Scheiterns, Versagens oder gar Untergangs. Je höher die Gefahr ist, der wir uns zwar entschlossen, aber zumeist ganz und gar nicht furchtlos, stellen, desto wichtiger ist es, zu wissen, wofür wir dieses Wagnis eingehen. Eben dieses „Wofür?“ ist es, woraus das, was wir Mut nennen, geboren wird.

Der Mut „weiß“: Angst existiert nur in Bezug auf die Zukunft. Wird diese Zukunft zur Gegenwart (gemacht!), verwandelt sich die Angst. Hierin liegt die alchemische Kraft des Mutes:

Indem wir das tun, wovor wir Angst haben, machen wir die gefürchtete Zukunft zur erlebten Gegenwart. Nur im Hier und Jetzt können wir den Gegebenheiten des Lebens aktiv begegnen. Wir mögen siegreich sein darin oder scheitern, doch welches Schicksal uns unser Tun auch immer bescheren wird, wir treten ihm und uns selbst aufrecht und würdevoll entgegen.

 

Weitere komplexe Gefühle

„Das Leben ist unendlich viel seltsamer als irgend etwas,
das der menschliche Geist erfinden könnte.
Wir würden nicht wagen, die Dinge auszudenken, die in Wirklichkeit
bloße Selbstverständlichkeiten unseres Lebens sind.“

Sir Arthur Conan Doyle

Natürlich ist die Liste der hier beschriebenen komplexen Gefühle nicht abschließend. Schuldgefühl und Rachsucht, Vorfreude, Verliebtheit und Dankbarkeit, Einsamkeit, Schwermut, Ungeduld, Verachtung, Verwirrung, Empörung, Hoffnung, Entsetzen, Langeweile und Selbstmitleid… Sie alle hätten einen Platz in dieser Beschreibung verdient.

Das menschliche Denken und Fühlen ist derart reich und vielfältig, dass die detaillierte Betrachtung jeder einzelnen emotionalen Regung den Rahmen dieses Artikels mehrfach sprengen würde.

Vielleicht jedoch war es mir möglich, durch die in diesem Kapitel ausgeführten Charakterisierungen einiger unserer komplexen Gefühle ein Verständnis dafür zu wecken, in welch vielfältiger Weise unser Denken und Fühlen miteinander verwoben sind.

Vielleicht war es mir möglich, eine Idee davon zu erzeugen, dass das, was wir in manchen Situationen unseres Lebens fühlen, alles andere als zwangsläufig und vorherbestimmt ist. Weil nämlich die weit überwiegende Mehrheit all unserer Gefühle eben nicht in ihrer Reinform auftritt, sondern geprägt ist von unseren Gedanken, Interpretationen und Bewertungen in Bezug auf das, was wir erleben.

Und vielleicht war es mir sogar möglich, die eine oder andere Grundlage dafür zu legen, dass wir angesichts der einen oder anderen Gefühlsregung unserer Zukunft die Erkenntnis entwickeln, dass es vielleicht andere, vielleicht sogar: bessere Weisen gibt, auf die Erlebnisse und Gegebenheiten unseres Lebens zu reagieren, als wir es bislang aus reiner Gewohnheit tun.

Und als letztes „vielleicht“: Vielleicht führt eben diese Bewusstheit und Erkenntnis dazu, dass wir tatsächlich weiser als bislang wählen, welche der Erfahrungen unseres Lebens wir mit welchem Gefühl beantworten wollen.

 

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Was die Anderen sagen:

Die Zeit: Hormone – Die Dirigenten unseres Lebens

spiegel.de: Eifersucht – Die dunkle Seite der Liebe

spektrum.de: Klassifikation von Emotionen

Wikipedia.de: Liebe

Wikipedia.de: Eifersucht

Wikipedia.de: Neid

Wikipedia.de: Missgunst

Wikipedia.de: Zufriedenheit

Wikipedia.de: Frustration

Wikipedia.de: Stolz

Wikipedia.de: Scham

Wikipedia.de: Sorge

Wikipedia.de: Mut

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klüger fühlen 04 – Grundgefühle 2. Ordnung

Leser-Wertung

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klüger fühlen!

Inhalt:

klüger fühlen 01 – Warum wir fühlen
klüger fühlen 02 – Eine neue Ordnung der Gefühle
klüger fühlen 03 – Grundgefühle 1. Ordnung
klüger fühlen 04 – Grundgefühle 2. Ordnung
klüger fühlen 05 – Der schillernde Kosmos unserer komplexen Gefühle
klüger fühlen 06 – Klüger fühlen!

 

 

klüger fühlen 04:

Grundgefühle 2. Ordnung

„Prognosen sind schwierig,
besonders wenn sie
die Zukunft betreffen.“

Karl Valentin (oder Mark Twain) (oder Niels Bohr) (oder noch jemand anderes)

Freude, Ärger und Traurigkeit sind die evolutionär in uns verankerten Reaktionsmuster auf das, was uns im Hier uns Jetzt geschieht. Erfüllt das, was wir erleben, wichtige Bedürfnisse in uns, dann freuen wir uns. Ist das Gegenteil der Fall, werden wir ärgerlich oder traurig – je nachdem, ob wir die Situation, in der wir uns befinden, als etwas erleben, was wir ändern können (Die Stunde des Ärgers!) – oder nicht (Ein Fall für die Traurigkeit).

Doch der Mensch lebt nicht im Hier und Jetzt allein. Er hat eine Geschichte, derer er sich (zumindest teilweise) bewusst ist. Diese Geschichte reicht über die Gegenwart hinaus: Zurück in die Vergangenheit und voraus in die Zukunft. Die Gegenwart, wie wir sie erleben und interpretieren, basiert auf dem, was wir in der Vergangenheit über uns selbst, das Leben und die Welt erfahren haben. Unser Handeln im Hier und Jetzt dient stets der Vorbereitung unserer Zukunft.

Der Mensch ist nicht das erste oder einzige Tier, das in der Lage ist, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu differenzieren. Die Fähigkeit, unser gegenwärtiges Erleben auf der Basis unserer vergangenen Erfahrungen zu beurteilen, ist ein hochwirksames Werkzeug, das uns ermöglicht, aus einer Reihe von Reaktionsweisen oder Handlungsoptionen solche zu wählen, die mit größerer Wahrscheinlichkeit dazu geeignet sind, uns das zuzuführen, was wir im Leben wünschen oder brauchen.

Ein zumindest grundlegendes Verständnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist darüber hinaus die Basis für jedes Lernen.

Halten wir uns vor Augen: Vergangenheit und Zukunft existieren allein in unserem Geist. Was wir „Erinnerung“, „Ahnung“, „Hoffnung“, Wunsch“, „Prognose“ oder gar „Plan“ nennen, existiert in der Welt da draußen nicht. Es existiert einzig und allein in unserer Psyche.

Dies gilt nicht nur für die Zukunft, deren ureigene Natur es ist, dass sie so lange wir an sie denken oder von ihr sprechen, noch nicht real ist. Auch unsere Vergangenheit ist nicht das, woran wir uns erinnern.

Unzählige Forschungen in den vergangenen drei Jahrzehnten haben zu Tage geführt, wie sehr auch all das, was wir „Erinnerung“ nennen, verfälscht, verdreht, geglättet oder ergänzt ist. Wie wir uns an ein vergangenes Erlebnis erinnern hängt – das wissen wir heute – weniger davon ab, was sich tatsächlich ereignet hat, als davon, wie es im Moment des Erinnerns um unsere Gedanken oder Gefühle bestellt ist.

Durch die evolutionäre Erschaffung eines Verständnisses von „Zeit“ entstand eine vollkommen neue Dimension der Betrachtung unseres Lebens und der Welt.

Was wir in unseren Erinnerungen oder Zukunftsvorausschauen „sehen“, ist nicht real. Dennoch prägt und lenkt es unser Verhalten im Hier und Jetzt.

Tiere, die ein (zumindest grundlegendes) Verständnis von Vergangeneheit, Gegenwart und Zukunft haben, handeln nicht mehr allein in Bezug auf die „Realität das draußen“, sondern außerdem auf ein verändertes Abbild dieser Realität in ihrer Psyche: Dieses Abbild nennen wir „Wirklichkeit“.

Die Dimension der Wirklichkeit legt sich wie ein Schleier über die Realität. Dieser Schleier ist so dicht, dass es selbst klugen und welterfahrenen Menschen oftmals schwer fällt, zwischen Realität und Wirklichkeit zu unterscheiden. Dieses Phänomen ist hundertfach beschrieben und nahezu ebenso oft beklagt worden.

Aus Sicht der Evolution jedoch macht genau diese “Verfälschung“ der wahrgenommenen Realität absolut Sinn: Wir müssen nicht mehr jede Situation, die wir erleben, von Grund auf neu erfassen, verstehen und interpretieren, sondern haben bereits vorbereitete Strategien parat, die mit relativer Wahrscheinlichkeit gut geeignet sind, den Erfahrungen im Hier und Jetzt zu begegnen. Das spart Energie und Zeit – Ressourcen, deren Verfügbarkeit in der Welt, in der wir entstanden sind, allzu oft den den entscheidenden Ausschlag gaben für das Leben oder Sterben eines Individuums, einer Population oder gar einer ganzen Art.

Lange Rede, kurzer Sinn:

Das Verständnis von Vergangenheit und Zukunft als psychische Dimensionen des Lebens erzeugte eine vollkommen neue Ebene der Wahrnehmung: Die Wirklichkeit.

In der Wirklichkeit sehen und hören wir Dinge, die in Realität nicht da sind. Dennoch sind genau diese irrealen Wahrnehmungen (Erinnerungen, Pläne, Wünsche…) eine essenzielle Informationsquelle für unser Handeln im Hier und Jetzt. Sie werden, ebenso wie unsere tatsächlichen Erfahrungen mit der Realität, in unserem Gehirn verarbeitet, und lösen, ebenso wie diese, neurochemische Reaktionen („Gefühle“) in unserem System aus.

Mit diesem evolutionären Schritt entstanden emotionale Strukturen, die grundlegend anders waren als die bereits angelegten und verbreiteten Grundgefühle der ersten Ordnung (Freude, Ärger, Traurigkeit).

Die Entstehung eines grundlegenden Verständnisses von Zeit war nicht nur der Beginn des Lernens, sondern auch die Geburtsstunde dreier vollkommen neuer Gefühlsmuster.

Dies ist unsere Grundgefühle zweiter Ordnung. Wir kennen sie als Überraschung, Angst und Lust.

 

Überraschung: Achtung, Ausnahmefehler! (Oder?)

„Aus der Knospe der Verwirrung
erhebt sich die Blüte der Verwunderung.“

Arabisches Sprichwort

Die Fähigkeit, aus vergangenen Erfahrungen zu lernen, stellt einen radikalen Entwicklungsschritt in der Evolution des Lebens dar. Nach heutigem Stand des Wissens sind weder Einzeller noch Pflanzen und Pilze hierzu in der Lage. Auch die einfach strukturieren Tieren (Schwämme, Würmer, Weichtiere, Gliederfüßer) sind voraussichtlich nicht im Stande, Angst, Lust oder Überraschung zu empfinden.

Die faszinierend komplexe Tanzsprache der Honigbienen allerdings deutet darauf hin, dass selbst manche Insekten durchaus über ein zumindest grundlegendes Verständnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verfügen könnten.

Damit Lernen aus Erfahrung sinnvoll möglich ist, benötigt ein Lebewesen komplexe neurale Strukturen, in denen Informationen nicht nur verarbeitet, sondern auch in verdichteter Form gespeichert und immer wieder „gepflegt“ werden. Diese gespeicherten Informationen werden nicht nur abgerufen und als Grundlage konkreter Entscheidungsprozesse genutzt, sondern auch immer wieder mit den tatsächlich gemachten Erfahrungen abgeglichen, gegebenenfalls verändert und wieder neu gespeichert.

Ein integraler Bestandteil dieses Vorganges ist die fortwährende Prüfung der gespeicherten Datenbasis auf Konsistenz und Anwendbarkeit auf den konkret erlebten Einzelfall.

Entspricht das, was ein Lebewesen im Hier und Jetzt erlebt, seinen gespeicherten Erfahrungen und Annahmen, so stehen die Chancen gut, dass auch seine gespeicherten Reaktionsweisen geeignet sein werden, der erlebten Situation auf zielführend sinnvolle Art und Weise zu begegnen, ohne hierfür allzu viel Energie aufwenden zu müssen.

Was aber, wenn das konkrete Erleben völlig anders ist, als es die gespeicherte Datenbasis erwarten ließ? Dann muss sich das Lebewesen neu orientieren. Bestenfalls: So schnell wie möglich.

Im Augenblick der Überraschung meldet das System:

„Achtung! Schwerer Ausnahmefehler!
Datenlage inkonsistent!
Sinnvolle Verhaltensauswahl nicht möglich!“

Es ist, als träte das System mit voller Kraft auf die Bremse. Die für Verhaltensauswahl und Verhaltenssteuerung zuständigen Systemeinheiten halten abrupt inne. Alle verfügbaren Ressourcen werden in die Strukturen für Wahrnehmung und Datenverarbeitung gelenkt.

Das Emoticon für „Überraschung“ ist ein Gesicht mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund. Auch unsere Wahrnehmungszellen in Ohren, Nase und Haut sind auf Datenaufnahme geschaltet und fluten das Gehirn mit Information.

Erst wenn sich aus diesem Datenstrom ein neues, handhabbares Modell der relevanten Umgebungsvariablen gebildet hat, ist das Lebewesen in der Lage, aus diesem Modell heraus auf seine Umwelt zu reagieren.

Je größer und bedeutungsvoller die Abweichung der erlebten Umwelt mit den zuvor gespeicherten Annahmen, desto intensiver wird das Gefühl von Überraschung erlebt – und desto mehr Zeit wird benötigt, um die innere Datenbasis auf die tatsächlichen Verhältnisse einzustellen.

Überraschung ist das einzige der sechs Grundgefühle, das wir Menschen nicht als eindeutig positiv (Freude, Lust) oder negativ (Ärger, Traurigkeit, Angst) bewerten. Ob ein Moment der Überraschung als angenehm oder unangenehm empfunden wird, hängt davon ab, wie gravierend und wie bedeutsam die Abweichung unserer Erwartungen mit dem aktuellen Erleben in Bezug auf unsere Grundbedürfnisse interpretiert wird.

Da jede neuartige Erfahrung auch die Möglichkeit der verbesserten Anpassung mit sich bringt, wird Überraschung nicht selten auch als sehr lustvoller Zustand erlebt. Schließlich ist die Befriedigung unseres Grundbedürfnisses nach „Entwicklung“ geradezu darauf angewiesen, dass wir immer wieder Situationen erleben, die uns neu und unvertraut sind und uns dadurch zur Anpassung unserer Annahmen oder Verhaltensweisen zwingen.

Je relevanter und notwendiger allerdings die geforderte Anpassungsleistung für unser Leben oder gar Überleben ist, desto unangenehmer, belastender oder erschütternder wird die jeweilige Überraschung erlebt werden.

Vier Stufen der Überraschung:

Stufe 1 (Grundform): Verwunderung
Stufe 2 (Positivform): Überraschung
Stufe 3 (Elativform): Schreck
Stufe 4 (Exzessivform): Schock

Komplexe Formen der Überraschung:

Verwirrung, Erstaunen, Verblüffung, Irritation

 

Angst: Essen Seele auf.

„Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben.
Mut ist die Entscheidung, dass
etwas anderes wichtiger ist als die Angst.“
James Neil Hollingworth

Wann empfinden wir Angst?

Angst empfinden wir dann, wenn wir uns eine Zukunft vorstellen, in der wichtige Grundbedürfnisse nicht erfüllt sind.

Wir haben Angst davor, dass unsere Ehe auseinander bricht, weil wir befürchten, uns einsam zu fühlen (Zugehörigkeit, Verbundenheit), weil wir befürchten, finanzielle Einbußen hinzunehmen (Sicherheit, Wohlbefinden, Freiheit, Zugehörigkeit, Anerkennung), weil wir befürchten, keinen Sex mehr zu haben (Wohlbefinden, Wirksamkeit, Intensität, Anerkennung, Verbundenheit, Selbsterfahrung, Augenhöhe) oder weil wir befürchten, uns ein neues Leben aufbauen zu müssen (Wohlbefinden, Leichtigkeit, Orientierung, Freiheit, Zugehörigkeit, Anerkennung).

Interessant hierbei ist: In dem Moment, in dem das Ereignis eintritt, vor dem die Angst uns warnte, ist die Angst nicht mehr da. In dem Moment, in dem die Zukunft zur Gegenwart wird nämlich, verwandelt sich die Angst in Traurigkeit und/oder Ärger, jene emotionalen Kräfte, die dafür gemacht sind, unsere gegenwärtigen Umgebungsvariablen zu verändern (wenn möglich) oder aber anzunehmen (wenn nicht). Manchmal sogar verwandelt sich unsere Angst in Freude. Dann nämlich, wenn das, was wir fürchteten, nicht oder zumindest nicht so eintritt. Dem voraus geht mindestens ein Augenblick der Überraschung.

Was passiert, wenn wir Angst haben?

Unser Körper spannt sich an. Unsere Augen und Ohren sind (wie bei der Überraschung) weit geöffnet. Unser Herzschlag beschleunigt sich. Wir atmen schnell und tief.

Durch diese körperlichen Reaktionen passieren zwei Dinge:

1. All unsere Sinne sind auf Empfang geschaltet. Wir nehmen sehr viel wahr. Unser Unterbewusstsein wird mit Information geflutet.

2. Unser stoßweises Atmen pumpt Sauerstoff in die Lunge, von dort aus ins Blut und schließlich in die Zellen. Der erhöhte Herzrhythmus beschleunigt unser Blut, so dass neben dem Extra an Sauerstoff auch weitere Nährstoffe zügig zu den Zellen geliefert werden.

Das Gefühl der Angst dient der Handlungsvorbereitung. Unser System (Körper und Psyche) versorgt sich mit Nährstoffen und Information, um dadurch in der direkt darauf folgenden Zukunft auf das, was dann passiert, bestmöglich reagieren zu können.

Das kann Kampf sein oder Flucht. Beides jedoch braucht Ressourcen. Körper und Psyche arbeiten im Zustand der Angst auf Hochtouren, um Nährstoffe, Energie und Information in verfügbarer Form an die richtigen Stellen zu bringen.

Angst erzeugt Aktionspotenzial.

Da wir Menschen dank unserer kognitiven Kapazitäten im Stande sind, uns sehr weit von der Gegenwart entfernte Zukünfte vorzustellen, – und darüber hinaus generell ein reges Vorstellungsvermögen haben, – verfügt unsere Art vermutlich über ein auf diesem Planeten einzigartiges Spektrum an Dingen, vor denen wir uns fürchten können.

Die Tatsache, dass wir Menschen in der Lage sind, uns vor Dingen zu fürchten, die möglicherweise in einem Jahr oder in 30 Jahren passieren werden, zeigt deutlich, zu welch komplexen Gedankengängen der Mensch in der Lage ist. In diesem Zusammenhang jedoch entfaltet die Gabe unseres klugen Geistes eine subtile, aber nicht unproblematische Nebenwirkung:

Je weiter die Dinge, die uns Angst machen, in der Zukunft liegen, desto länger ist es uns uns nicht möglich, ihnen zu begegnen. Das mag uns als Glück erscheinen („Noch ist es nicht so weit!“), bei Lichte betrachtet jedoch werden wir erst dann, wenn wir dem Gegenstand unserer Angst begegnen, von unserer Angst befreit.

Ängste jedoch, die über längere Zeit nicht aufgelöst werden können, führen zu einer sich beständig wiederholenden Belastung des Systems. Auf Dauer zeigen sich nicht selten körperliche oder psychische Auffälligkeiten oder Störungen.

Vier Stufen der Angst:

Stufe 1 (Grundform): (An-) Spannung
Stufe 2 (Positivform): Vorsicht
Stufe 3 (Elativform): Angst
Stufe 4 (Exzessivform): Panik

Komplexe Formen der Angst:

Eifersucht, Sorge, Unbehagen, Misstrauen, Zweifel, Hoffnung (Typ A), alle Formen von Phobien

 

Lust: Auf Leben!

„Welch eine himmlische Empfindung ist es,
seinem Herzen zu folgen.“

Johann Wolfgang von Goethe

Interessanterweise ist die Lust in keinem der aktuell diskutierten Ansätze zur Definition unserer Grundgefühle vorhanden. Ganz im Gegensatz zu ihrer Schwester, der Angst. Diese fehlt in keiner Auflistung.

Ähnlich wie Freude, Ärger und Traurigkeit in Bezug auf unsere Gegenwart, so sind Angst und Lust die Reaktionsweisen unseres Systems auf Ereignisse unserer Zukunft.

Das Wort „Lust“ bezeichnet in diesem Sinne also die „Lust auf etwas“. Die „Lust an etwas“ (beispielsweise das Lustempfinden beim Sex oder die Lust an gutem Essen, guter Musik o.ä. ) ist eine komplexe Form von des Grundgefühls Freude.

Auch die „Lust auf etwas“ aktiviert unseren Körper für ein Handeln in der Zukunft. Anders als bei der Angst allerdings können wir es in diesem Fall kaum erwarten, dass „es passiert!“

Alle Signale sind auf grün gestellt. Körper und Psyche sind voll bereit. Mehr als bereit. Wenn es nur endlich los ginge…! Wir können nicht still sitzen, rutschen hin und her, stehen auf, bewegen uns, bewegen die Finger und wackeln mit den Zehen.

Dann passiert, was wir erwartet haben, und die Energie der Lust entlädt sich in Freude. Vielleicht passiert aber auch etwas ganz anderes. Vielleicht ab und an sogar etwas, das uns viel weniger gefällt. Dafür aber haben wir noch den Ärger und die Traurigkeit auf Tasch.

Vier Stufen der Lust:

Stufe 1 (Grundform): Interesse
Stufe 2 (Positivform): Neugier
Stufe 3 (Elativform): Lust
Stufe 4 (Exzessivform): Begierde

Komplexe Formen der Lust:

Wollust, Appetit, Wissbegierde, Hoffnung (Typ B), alle Formen von Philien.

 

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Lies hier weiter: klüger fühlen 05 – Der schillernde Kosmos unserer komplexen Gefühle

 

Inhalt:

klüger fühlen 01 – Warum wir fühlen
klüger fühlen 02 – Eine neue Ordnung der Gefühle
klüger fühlen 03 – Grundgefühle 1. Ordnung
klüger fühlen 04 – Grundgefühle 2. Ordnung
klüger fühlen 05 – Der schillernde Kosmos unserer komplexen Gefühle
klüger fühlen 06 – Klüger fühlen!

 

 

Die Reihe „klüger fühlen!“
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Was die Anderen sagen:

Die Zeit: Hormone – Die Dirigenten unseres Lebens

spektrum.de: Emotionen (Essay)

spektrum.de: Klassifikation von Emotionen

Wikipedia.de: Überraschung

Wikipedia.de: Angst

Welt.de: Angst (interaktives Feature)

Wikipedia.de: Motivation

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klüger fühlen 03 – Grundgefühle 1. Ordnung

Leser-Wertung

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klüger fühlen!

Inhalt:

klüger fühlen 01 – Warum wir fühlen
klüger fühlen 02 – Eine neue Ordnung der Gefühle
klüger fühlen 03 – Grundgefühle 1. Ordnung
klüger fühlen 04 – Grundgefühle 2. Ordnung
klüger fühlen 05 – Der schillernde Kosmos unserer komplexen Gefühle
klüger fühlen 06 – Klüger fühlen!

 

 

klüger fühlen 03:

Grundgefühle 1. Ordnung

„Die Tiere empfinden wie der Mensch
Freude und Schmerz, Glück und Unglück.“

Mahatma Gandhi

Um dem Geheimnis unserer Gefühle auf die Spur zu kommen, ist es wichtig, uns zu vergegenwärtigen, dass all das, was wir fühlen, auf in uns ablaufenden organischen Prozessen beruht. Unser Körper verfügt über hocheffektive neurale Kanäle und spezialisierte Drüsen, die nur dafür dafür erschaffen sind, um unser System mit dem zu versorgen, was wir „Gefühle“ nennen.

Diese organischen Strukturen sind durch evolutionäre Prozesse erschaffen und, wie andere Organe, im Laufe der Jahrmillionen spezifisch verfeinert worden. In meinen Augen ergibt sich hieraus zwingend: Der Mensch ist bei Weitem nicht das einzige Tier, das fühlt.

Wenn wir das Wirken unserer Gefühle wirlich verstehen wollen, dann müssen wir sie aus den Augen der Evolution selbst betrachten.

Die Schlüsselfrage lautet also:

Was nützt es der Schnecke, wenn sie sich freut?

 

Freude: Schöner Götterfunken!

„Ein Leben ohne Freuden ist
wie eine weite Reise ohne Gasthaus.“

Demokrit

Ausgerechnet die Freude ist es, die den Schlüssel zum Verständnis unserer Gefühle birgt. Der Ärger und die Traurigkeit, und auch die allüberall empfundene Angst leuchten auf den ersten bis zweiten Blick als evolutionär vorteilhaft ein.

Doch: Welchen evolutionären Nutzen hat die Freude? Was hat eine
Art davon, wenn ihre Mitglieder immer mal wieder fröhlich sind? Dass es sich gut anfühlt, wenn wir uns freuen, steht außer Frage. Aber was hat unsere Art davon?

Was nützt es der Schnecke, wenn sie sich freut?

 

Stellen wir die Frage anders: Wann freut sich eine Schnecke?

Falls du selbst nicht darauf kommst, dann stelle diese Frage einem beliebigen Kind aus deiner Familie oder Nachbarschaft. Höchstwahrscheinlich wird seine Antwort der Wahrheit ziemlich nahe kommen.

Wann empfinden wir selbst Freude?

Wir freuen uns, wenn unsere Bedürfnisse erfüllt werden. Wenn Dinge geschehen, durch die wir aus einem Zustand des absoluten oder relativen Mangels in einen Zustand höherer physischer oder psychischer Genährtheit übergehen.

Wenn wir hungrig sind und in einen Apfel beißen… (Nährstoffe)

Wenn wir lange unter Wasser waren und schließlich auftauchen… (Sauerstoff)

Wenn wir richtig gut gevögelt werden… (Sex)

Wenn uns jemand eine uns unklare Aufgabe erläutert… (Orientierung)

Wenn wir an einer Rose riechen… (Intensität)

Wenn uns unser Vater sagt, dass er stolz auf uns ist… (Anerkennung)

Wenn wir lächelnd unseren Kindern (oder Enkeln) beim Spielen zuschauen… (Sinn)

… dann freuen wir uns.

Passiert es nicht, obwohl wir eine Sehnsucht danach verspüren, dann werden wir traurig oder ärgern uns. Je nachdem. Dazu gleich mehr.

Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir uns freuen?

Auf der Seite von dasgehirn.info beschreibt Hirnforscher Gerhard Roth aus Bremen sehr übersichtlich, welche Prozesse im Gehirn ablaufen und welche funktionellen Bestandteile des Gehirns an diesen Prozessen beteiligt sind.

All die hier von Gerhard Roth beschriebenen neurochemischen Prozesse führen unter Anderem dazu, dass Nervenzellverbindungen, die häufig genutzt werden, mit einer isolierenden Schicht aus einem Fett namens Myelin überzogen werden. Zellen, die durch eine Myelin-Schicht geschützt sind, leiten elektrischen Strom um ein Vielfaches schneller als solche ohne Myelin.

Dies ist übrigens nicht nur bei der Freude der Fall, sondern auch bei allen anderen Grund- und auch den komplexen Gefühlen. Durch unsere Gefühle strukturiert und justiert sich unser Gehirn immer wieder neu auf die es umgebende Umwelt ein.

Je häufiger wir also ein bestimmtes Gefühl fühlen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir dieses Gefühl in naher Zukunft wieder fühlen werden.

Was an diesem Prozess ist bei der Freude anders als bei anderen Gefühlen?

Die Freude ist das einzige Gefühl, das sich einstellt, wenn uns etwas gelingt, wenn wir etwas „richtig“ machen oder uns etwas „Gutes“ geschieht.

Wenn wir uns freuen, dann interpretiert unser Gehirn: „Das hier hat funktioniert! Das tut mir gut! Davon will ich mehr! Das merke ich mir!“ Es schüttet Glückshormone und Endorphine aus. Myelin wird produziert und intern verschoben. Hierbei gilt, wie auch bei allen anderen Gefühlen: Je intensiver das Gefühl, desto mehr Myelin lagert das Gehirn um die entsprechenden Nervenzellverbindungen an.

Freude ist der Schlüssel zum Lernen. Unser Gehirn lernt durch Versuch und Erfolg. Hat eine Strategie Erfolg oder erleben wir einfach einen glücklichen Zufall (zu dem wir allerdings, das weiß unser Gehirn, möglicherweise auch etwas dazu getan haben), dann ist es evolutionär gesehen sehr sinnvoll, wenn wir uns diese Erfahrung gut merken, weil wir aus ihr etwas Nützliches für die Zukunft lernen.

Wer sich nicht freut, lernt zwar weiterhin Dinge über das Leben, nur leider weniger von dem, was funktioniert und uns vorwärts bringt. So haben Menschen, die wenig Freude empfinden, nicht nur bedeutend häufiger viele unerfüllte Bedürfnisse. Sie kennen oftmals auch weniger Möglichkeiten, diese zu befriedigen als Menschen, die sich regelmäßig freuen.

Je nachdem, wie wichtig uns das Bedürfnis ist, das gerade erfüllt wird und/oder wie eklatant der zuvor empfundene Mangel war, wird unsere Freude unterschiedlich stark ausfallen.

Vier Stufen der Freude:

Stufe 1 (Grundform): Zustimmung

Stufe 2 (Positivform): Freude

Stufe 3 (Elativform): Begeisterung

Stufe 4 (Exzessivform): Euphorie

Da das Empfinden von Freude an die Ausschüttung von Endorphinen (=körpereigene Opioide) gekoppelt ist, ist es nicht verwunderlich, dass sie in ihren kräftigeren Erscheinungsformen nicht nur von Weitem gewisse Ähnlichkeiten mit einem Drogenrausch zeigt.

Freude ist die Belohnung unseres Gehirns. Dafür, dass wir etwas dafür getan, dass, und/oder uns in eine Situation begeben haben, in der unsere Bedürfnisse erfüllt wurden.

Die Botschaft der Freude lautet: „Das tut mir gut! Davon will ich mehr!“ Auf diese Weise sorgt unser Sytem dafür, dass wir uns und es mit dem versorgen, was ihm und uns gut tut. Gleichzeitig bekommen in unserem Gehirn diejenigen Nervenbahnen ein Upgrade, die mit dieser Erfahrung in engem Bezug stehen.

So lernen wir.

Und glauben wir dem Neurobiologen Gerald Hüther, dann ist der Zustand der Begeisterung der ideale Nährboden dafür, zu lernen, zu reifen und uns intellektuell, emotional und sozial weiter zu entwickeln.

In Verbindung mit gedanklichen Perspektiven und Interpretationen bekommen unsere Grundgefühle in ihren komplexen Formen ein neues Gesicht. Allerdings ist auch in diesen Erscheinungsformen die Grundenergie zumeist recht leicht herauszulesen:

Komplexe Formen der Freude:

Komplexe Erscheiungsformen der Freude sind u.A.: Dankbarkeit, Stolz, Erzücken, Schadenfreude, Genuss, Gemütlichkeit, Zuhausesein, Hingabe, Zuversicht, …

So weit, so gut. Wenn unsere Bedürfnisse erfüllt sind, dann verspüren wir Freude. Was aber passiert, wenn wir feststellen oder den Eindruck haben, dass relevante Bedürfnisse in uns nicht, wieder nicht oder aus Dauer nicht befriedigt werden?

Das kommt darauf an.

 

Ärger: Die Antwort ist: „Nein.“

„Aus bitterer Erfahrung zog ich diese eine und höchste Lehre: Man muss den Zorn in sich aufstauen, und so wie gestaute Wärme in Energie umgesetzt werden kann, so kann unser gestauter Zorn in eine Kraft umgesetzt werden, die die Welt zu bewegen vermag.“
Mahatma Gandhi

Die Botschaft des Ärgers lässt sich in einem einzigen Wort zusammen fassen: Der Ärger sagt: „Nein!“

Das, was hier passiert, tut mir nicht gut. Der Ärger schenkt mir die Energie und Entschlossenheit, die es braucht, um die Situation, in der ich mich befinde, anzupacken und zu ändern.

Im Zustand von Ärger oder Wut schüttet unser Körper Mengen bis Unmengen an Stresshormonen aus. Unsere Muskeln spannen sich an, alle nicht akut benötigten Körperfunktionen werden gedrosselt, Atem und Herzschlag beschleunigen sich. Wir sind voller Energie.

Im Gehirn findet eine archaische Anpassung an. Während unsere intellektuellen Fähigkeiten drastisch herunter gefahren werden, steigt unsere Bereitschaft, Entscheidungen zu treffen, erheblich an. Und je mehr wir den Durchblick verlieren, desto alternativloser erscheinen uns unsere Gedanken und Entscheidungen.

Wir alle kennen diese Szenen, und wohin sie in den meisten Fällen führen. Aus eigenem Erleben oder zumindest aus Anschauung.

Je stärker hierbei das Gefühl, desto höher ist die Ausschüttung der entsprechenden Stresshormone und desto stärker ihre intellektuellen, emotionalen und sozialen Wirkungen.

In meinen Augen besteht das Geheimnis im Umgang mit dem Ärger darin, ihn zu erkennen, wenn er noch klein ist. Je früher wir erkennen, dass wir mit einer Situation oder Entwicklung nicht einverstanden sind, desto geringer ist die bisherige Konzentration von Stresshormonen im Blutkreislauf. Unser Körper ist aktiviert und handlungsbereit, noch sind wir allerdings intellektuell relativ klar, emotional noch unaufgebracht und sozial bislang unauffällig geblieben.

Dies ist der ideale Zeitpunkt, um einen Schritt zu tun, eine Entscheidung zu fällen oder unser Wort zu erheben.

Je länger wir damit warten, desto höher wird Stunde um Stunde, Woche um Woche, Jahr um Jahr die Konzentration an Stresshormonen im Blut, wenn wir erneut der gleichen Person, der gleichen oder einer ähnlichen Situation ausgesetzt sind. Je höher diese Konzentration, desto höher ist 1:1 die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns daraufhin in einer Weise verhalten werden, die wir später, wenn Atem, Blut und Gedanken wieder etwas langsamer fließen, bitter bereuen werden.

Vier Stufen des Ärgers:

Stufe 1 (Grundform): Ablehnung

Stufe 2 (Positivform): Ärger

Stufe 3 (Elativform): Wut

Stufe 4 (Exzessivform): Rage

Komplexe Formen des Ärgers:

Beispiele für komplexe Formen des Ärgers: Zorn, Hass, Neid, Empörung, Frustration, Genervtheit, Spott, Rachsucht, Entschlossenheit, Mut, …

Der Ärger und was er in unserem Körper und Geist anstellt, ist die ideale Antwort der Evolution auf Situationen, in denen unsere Bedürfnisse nicht erfüllt sind, wir aber etwas daran ändern können. Was aber, wenn unsere Bedürfnisse nicht erfüllt sind, wir genau das jedoch nicht ändern können?

 

Traurigkeit: Annehmen und weiter gehen.

„Gefährlich und schlecht sind nur jene Traurigkeiten, die man unter die Leute trägt, um sie zu übertönen; wie Krankheiten, die oberflächlich und töricht behandelt werden, treten sie nur zurück und brechen nach einer kleinen Pause um so furchtbarer aus; und sammeln sich an im Innern und sind Leben, sind ungelebtes, verschmähtes, verlorenes Leben, an dem man sterben kann.“
Rainer Maria Rilke

So schade es ist: Es gibt Dinge, die können wir nicht verändern, so gerne wir sie auch verändern wollten. Wir können uns ärgern, und vielleicht haben wir das bereits getan. Aber aller Ärger läuft ins Leere, wenn das, was er verändern will, schlicht und einfach nicht zu ändern ist.

Es gibt Dinge, die können wir nicht verändern.

So lange wir uns damit abmühen, dem Unveränderlichen unsere Stirn zu bieten, so lange kleben wir an dieser Erfahrung fest. Wohlmeinende Küchenpsychologen raten an dieser Stelle gerne: „Lass einfach los!“. Doch wer schon einmal in einer solchen Situation war, der weiß, dass die gutherzige Empfehlung zum Loslassen wie eine Leerfloskel rüber kommt und sich nicht selten darüber hinaus anfühlt wie ein Schlag ins Gesicht.

Doch wie können wir hilfreicher damit umgehen, dass unser Wunsch (und das Bedürfnis zu seinen Wurzeln) bei all der Kraft unseres Wünschens ohne Erfüllung bleibt und möglicherweise noch für lange Zeit oder gar bis in alle Ewigkeit unerfüllt bleiben wird?

So hart es in vielen Situationen unseres Lebens auch sein mag: Der Schlüssel zur Erlösung besteht darin, anzunehmen, was ist. Dafür hat Mutter Evolution die Traurigkeit erfunden.

Was passiert, wenn wir traurig sind?

Derzeit werden die Gefühle von Traurigkeit eher mit dem Fehlen spezifischer Hormone (z.B. Serotonin) in Verbindung gebracht als mit der Ausschüttung spezifischer Botenstoffe.

Traurigkeit führt dazu, dass wir uns von der Welt zurückziehen. Und uns auf uns selbst besinnen. Wie lange und wie radikal dieser Rückzug ausfällt, hängt davon ab, wie intensiv und lebensbestimmend dieser Prozess erlebt wird.

Ähnlich dem Ärger ist auch bei der Traurigkeit die Wirksamkeit und Nützlichkeit dieses Gefühls auf der Grundstufe (Bedauern) am höchsten. Je stärker die Traurigkeit wird, desto mehr verflacht das Denken, bis die Welt schließlich nur noch in zweidimensionaler Überspitzung wahrgenommen wird.

So lange wir das, was wir erfahren, noch schrecklich, furchtbar, grausam, unmenschlich oder schlimm finden, findet keine Annahme statt. Annahme geschieht an dem Punkt, wo wir das, was uns geschieht, als „schade“ interpretieren.

Die Annahme führt schließlich von allein und auf direktem Wege zum Loslassen. Und sie allein ist es, die uns loslassen lässt, woran wir zuvor mit verkrampften Fingern festgehalten haben. Wer loslassen möchte, muss annehmen üben.

Dazu brauchen wir einen liebevollen Blick auf unsere eigenen Grenzen, auf unsere Unvollkommenheit und Ohnmacht. Diese Aspekte unseres Seins haben allerdings bislang in unserer aktuell vorherrschenden Macher-Kultur einen schweren Stand.

Vier Stufen der Traurigkeit:

Stufe 1 (Grundform): Bedauern

Stufe 2 (Positivform): Traurigkeit

Stufe 3 (Elativform): Trauer

Stufe 4 (Exzessivform): Verzweiflung

Komplexe Formen der Traurigkeit:

Mitleid, Selbstmitleid, Kummer, Sorge, Reue, Langeweile, Einsamkeit, Melancholie, Vergebung, …

 

Ärger und Traurigkeit als Zwillingskräfte

„Die Neigungen des Herzens sind geteilt wie die Äste einer Zeder. Verliert der Baum einen starken Ast, so wird er leiden, aber er stirbt nicht. Er wird all seine Lebenskraft in den nächsten Ast fliessen lassen, auf dass dieser wachse und die Lücke ausfülle.“
Khalil Gibran

Wenn wir erleben, dass unsere Bedürfnisse nicht erfüllt werden, dann werden wir daraufhin traurig oder ärgerlich. Je nachdem, ob wir uns in der Lage sehen, unsere Situation und/oder Aussicht zu verändern, oder nicht.

Unser Körper ist klüger als so mancher Geist. Viele von uns glauben, wir würden Situationen erleben, die uns entweder traurig oder ärgerlich machen. Wenn wir genauer und etwas länger hinschauen allerdings, stellen wir fest, dass Empfindungen von Traurigkeit und Ärger in derartigen Situationen im stetigen Wechsel auftreten. Eines steht im Vordergrund, gewiss. Jedoch ist das andere niemals weit entfernt.

Warum behaupte ich, dies zeige, dass unser Körper klüger ist als unser Verstand?

Weil unser Körper offenbar weiß, dass die allermeisten Situationen, in denen wichtige Bedürfnisse unerfüllt bleiben, sowohl Aspekte enthalten, die wir als unabänderlich annehmen müssen, als auch solche, die wir durchaus zu unserem Vorteil verändern können.

Darum liegen Traurigkeit und Ärger so oft so nahe beieinander. Es ist ein Zeichen dafür, wie klug unser Körper ist. Er stellt uns in solchen Situationen beide Werkzeuge, die wir benötigen, zur Verfügung.

Wer also mit Ungemach im Leben leichter und wirksamer Umgang finden will, der ist daran gut beraten, beide Werkzeuge im rechtem Maß und rechter Weise nutzen zu lernen.

 

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Inhalt:

klüger fühlen 01 – Warum wir fühlen
klüger fühlen 02 – Eine neue Ordnung der Gefühle
klüger fühlen 03 – Grundgefühle 1. Ordnung
klüger fühlen 04 – Grundgefühle 2. Ordnung
klüger fühlen 05 – Der schillernde Kosmos unserer komplexen Gefühle
klüger fühlen 06 – Klüger fühlen!

 

 

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Was die Anderen sagen:

Die Zeit: Hormone – Die Dirigenten unseres Lebens

spektrum.de: Emotionen (Essay)

spektrum.de: Klassifikation von Emotionen

Wikipedia.de: Freude

Wikipedia.de: Ärger

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Die psychischen Grundbedürfnisse des Menschen

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Die psychischen Grundbedürfnisse des Menschen

„Die Zeit wird kommen, wo unsere Nachkommen sich wundern, dass wir so offenbare Dinge nicht gewusst haben.“
Lucius Annaeus Seneca (4 v. Chr – 65 n. Chr.)

Alles menschliche Streben beruht auf den Bedürfnissen unseres Körpers und unserer Psyche. Alle Ziele, die wir in unserem Tun verfolgen, und alle Sehnsüchte und Wünsche, die wir in uns hegen, basieren darauf, dass unser System aus Körper und Geist unablässig damit beschäftigt ist, bestmöglich dafür zu sorgen, dass unsere physischen wie psychischen Bedürfnisse erfüllt sind.

Je besser wir verstehen, wovon sich Körper und Psyche „ernähren“, desto klarer und bewusster können wir unser Leben so gestalten, dass unser Körper ebenso wie unsere Psyche möglichst gesund und möglichst geschmeidig bleiben.

Unter der Überschrift „In a nutshell“ fasse ich das in diesem Artikel beschriebene Verständnis unserer Psyche und ihrer Bedürfnisse auf den Punkt verdichtet in wenigen Worten zusammen. Diese radikale Kurzzusammenfassung ermöglicht ein rasches Verständnis über die stufenweise evolutionäre Entwicklung unserer psychischen Grundstrukturen sowie über die mit jedem Entwicklungsschritt unserer Psyche (und ihrer Fähigkeiten) neu entstehenden Bedürfnisse. Besonders erbaulich zu lesen allerdings ist dieser Einstieg nicht. Wer es nicht ganz so eilig hat, dem/der empfehle ich, diese Passage zu überspringen und zur Wiederholung und Vertiefung zum Abschluss der Lektüre zu nutzen.

Inhalt:

In a nutshell

Einleitung

Was sind Bedürfnisse?

Bedürfnisse des Körpers

Bedürfnisse der Psyche

Zwischenfazit

Bedürfnisse: Einige Worte zu Abraham Maslow

Unsere psychischen Grundbedürfnisse: 
Der Versuch einer alltagstauglichen Nomenklatur

Übersicht der psychischen Grundbedürfnisse des Menschen

In a nutshell

Neben den physischen Grundbedürfnissen nach materiellen und energetischen Ressourcen haben wir Menschen (und andere Lebewesen) weitere Bedürfnisse psychischer Natur.

Das Nahrungsfeld unserer Psyche ist nicht Materie oder Energie, sondern Information. Es handelt sich bei unseren psychischen Ressourcen daher um grundlegende Informationsstrukturen, welche ebenfalls evolutionär entstanden und bereits weit vor Erscheinen des Menschen ausgebildet wurden.

Stufe 0:
– Leben
Stufe 1:
– Sicherheit (Ich bin sicher.)
– Wohlbefinden (Es geht mir gut.)
– Leichtigkeit (Es ist leicht)
– Orientierung (Ich verstehe die Welt.)
Stufe 2:
– Freiheit (Ich kann tun, was ich will.)
– Wirksamkeit (Mein Tun verändert die Welt.)
– Intensität (Ich fühle mich lebendig.)
– Entwicklung (Ich entwickle mich weiter.)
Stufe 3:
– Zugehörigkeit (Ich bin Teil von etwas Größerem.)
– Anerkennung (Ich bin wertvoll für Andere.)
– Verbundenheit (Ich werde geliebt.)
– Augenhöhe (Ich achte, was ich bin.)
Stufe 4:
– Selbsterkenntnis (Ich kenne und liebe mich selbst.)
– Integrität (Ich handle im Einklang mit meinen Werten.)
– Sinn (Ich verstehe, worum es geht.)
– ?

Mit jedem Bedürfnis einher gehen Fähigkeiten, die das Lebewesen nutzt, um mit seiner Umwelt in Interaktion zu treten. Die in diesem Artikel aufgeführte Struktur gibt eine plausible Reihenfolge der Entstehung der hier benannten psychischen Bedürfnisse im Laufe der Evolution wieder. Auch jedes Lebewesen selbst bildet im Laufe seiner individuellen Reifung seine Bedürfnisse voraussichtlich in dieser oder einer sehr ähnlichen Reihenfolge.

Physische wie psychische Grundbedürfnisse können nicht direkt, sondern nur indirekt durch Interaktion mit der grobstofflichen Welt befriedigt werden, in dem wir beispielsweise einen Apfel essen, die Heizung aufdrehen oder ein Gespräch führen. Diese Handlungsweisen stellen Strategien dar, die unser System nutzt, um sich seine Bedürfnisse zu erfüllen.

Im Laufe unseres Lebens erlernen wir eine Vielzahl von Strategien, die dazu geeignet sind, uns unsere (physischen oder psychischen) Bedürfnisse zu befriedigen oder aber zu verhindern, dass wir auf zu vielen dieser Ebenen gleichzeitig großen Mangel empfinden.

Unserem bewussten Verstand werden ungenährte Bedürfnisse als innere „Wünsche“ oder „Befürchtungen“ gewahr, die wir uns selbst, unseren Mitmenschen oder „dem Leben“ gegenüber haben. Diese Wünsche oder Befürchtungen sind die Grundlagen unseres Handeln.

Es gibt immer mehrere Wege, um ein offenes Bedürfnis zu befriedigen. Je mehr wir in unserem Leben bereits erlebt und erfahren haben, desto breiter wird unsere Auswahl an potenten Handlungsmöglichkeiten.

Wünsche, die nicht in angemessener Weise zum Ausdruck gebracht werden, degenerieren zu häßlichen und oft energieraubenden „Erwartungen“. Diese sind nicht selten Anlass für „Ent-Täuschungen“.

Einleitung

Wer sich in heutiger Zeit aus professionellen oder persönlichen Motiven heraus ernsthaft mit menschlichen Gefühlen, Entscheidungen und Beziehungen auseinander setzt, stellt schnell fest, dass die bisher vorliegenden Modelle des Menschen und der Motivationen seines Handelns zwar wissenschaftlich durchaus klug durchdacht sind, jedoch im konkreten Einzelfall (um den es schließlich recht oft ganz konkret geht) leider nur wenig Erklärungskraft entfalten.

Was hilft es Marina, die jüngst von der heimlichen Affäre ihres Mannes erfahren hat, wenn sie nun im Rahmen einer Paarberatung erkennt, dass dieser in seiner Entwicklung niemals ein männliches Vorbild gehabt hatte, an dem er hätte lernen und erfahren können, wie man in einer Liebesbeziehung offen und liebevoll über unerfüllte Sehnsüchte spricht? Das ist gewiss hochinteressant. Aber hilft es ihr?

Was hilft es Alex, der darunter leidet, dass die Frauen in seinem Leben ihm immer wieder den „Ehrenplatz“ der besten männlichen Freundin anbieten, wenn er erfährt, dass sein schwaches Selbstvertrauen ihn für viele Frauen auf sexueller Ebene geradezu zwingend uninteressant macht? Vielleicht ist er darauf sogar schon selbst gekommen. Aber selbst wenn nicht: Wie viele Schritte weiter bringt ihn diese Erkenntnis wohl?

Was hilft es Constanze und Dirk, die über die zunehmende Langeweile in ihrer Partnerschaft klagen, wenn sie nun hören, dass das nach 12 Jahren monogamer Paarung gar nicht ungewöhnlich ist, und dass es vielen Paaren in ihrer Situation ganz ähnlich ergeht? Mit etwas Glück spendet dieser tröstlich gemeinte Hinweis möglicherweise tatsächlich Trost. Aber bietet er den Liebenden einen Ausweg aus ihrer Not?

Ich behaupte: Es hilft ihnen nichts.

Viele therapeutisch, pädagogisch oder psychologisch arbeitende Menschen haben ein wirklich gutes Herz. Sie wollen die Menschen wirklich unterstützen, mit denen sie arbeiten. Alles, was sie sagen und tun, ist wirklich gut gemeint. Warum nur ist es so oft so wenig wirksam?

Ich glaube, ein einfacher Grund hierfür liegt schlicht darin, dass wir trotz einem Jahrhundert intensiver psychologischer Forschung bis heute kein klares Verständnis dafür haben, welche Grundkräfte hinter all unseren Handlungen, unseren Gefühlen und Entscheidungen aktiv und wirksam sind.

Dies ist nicht verwunderlich. Die Kräfte, von denen in diesem Artikel die Rede ist, wirken auf einer Ebene unserer Psyche, die für den bewussten Verstand nicht ohne Weiteres zugänglich ist. Die Rede ist hier von unseren psychischen Bedürfnissen.

Viele von uns erkennen recht leicht die Wünsche und Erwartungen an uns selbst, unsere Mitmenschen oder an „das Leben“. Und natürlich bemerken wir die Gefühle, die wir empfinden, wenn unsere Wünsche oder Erwartungen erfüllt oder leider gerade eben nicht erfüllt sind. Darum glauben wir, das, was wir uns wünschen oder was wir erwarten, wären unsere Bedürfnisse. Jedoch: Das sind sie nicht. Es sind: Unsere Wünsche und Erwartungen. Wollen wir zu unseren Bedürfnissen durchdringen, dann müssen wir tiefer schauen.

Diese verbreitete Verwechslung zwischen unseren Wünschen und Erwartungen mit unseren dahinter liegenden Bedürfnissen, so nachvollziehbar es ist, löst eine Menge Durcheinander und Unklarheit aus. Es verzerrt den Blick auf einander und uns selbst und erzeugt unzählige unnötige Irritationen, Konflikte und Krisen.

Stellen wir uns vor, wir wären in der Lage, Marina eine Perspektive anzubieten, aus der heraus sie versteht, welche Sehnsüchte und Bedürfnisse genau es waren, die ihren Mann zu seinem Tun getrieben hatten. Stellen wir uns darüber hinaus vor, dass es Marina gelingen würde, zu erkennen, dass sie dieselben Sehnsüchte und Bedürfnisse auch in sich trägt. Und stellen wir uns als drittes vor, ihr Mann wäre in der Lage, zu ihr auf eine Weise von sich, seinen Gefühlen, Wünschen und Bedürfnissen zu sprechen, die sie mitfühlen lässt, wie es für ihn war, über Monate ein fadenscheiniges Doppelleben zu führen, in ständiger Angst vor dem entdeckt werden, in ständiger Angst davor, durch sein Tun all das zu verlieren, was er an seiner Frau und an der gemeinsamen Ehe liebt und schätzt… Was könnte dadurch möglich werden für Marina und ihren Mann?

Stellen wir uns vor, es wäre uns möglich, Alex eine Sichtweise an die Hand zu geben, aus der heraus er Schritt für Schritt beginnt, für möglich zu halten, dass das, wonach sich die Frauen in seinem Umfeld bei einem Mann sehnen, in ihm längst angelegt ist. Stellen wir uns vor, er würde erkennen, dass die Schüchternheit und Selbstunsicherheit, die er so oft an sich verurteilt, keine fest installierten Charakterfeature sind sondern lediglich erlernte Strategien im Umgang mit eigenen Bedürfnissen. Und stellen wir uns schließlich vor, wir könnten mit ihm gemeinsam neue Strategien entwickeln, die geeignet sind, dieselben Bedürfnisse in ihm ebenso gut oder sogar besser zu befriedigen und darüber hinaus seine Präsenz und Attraktivität als Mann steigern… Was könnte sich dadurch in Alex‘ Leben ändern?

Stellen wir uns vor, wir könnten zusammen mit Constanze und Dirk herausfinden, welche Bedürfnisse und Wünsche genau es sind, die in ihrer Partnerschaft in den vergangenen Jahren auf der Strecke geblieben sind. Stellen wir uns vor, wir wären in der Lage, ihnen dabei zu helfen, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln, in der sie über ihre offenen Wünsche und Bedürfnisse miteinander ebenso konkret wie liebevoll in einen gemeinsamen Austausch treten könnten. Und stellen wir uns schließlich vor, dass diese gemeinsame Sprache Constanze und Dirk dabei hilft, zu erkennen, wie absurd und sinnentleert ihr bisheriger Kampf um Recht und Schuld doch war… Welche Potenziale könnten Constanze und Dirk dadurch in ihrer Partnerschaft und Sexualität entfalten?

Ich behaupte: Das hier könnte eine Perspektive sein, die tatsächlich einen Unterschied macht.

Auch wenn die hier vorgenannten Beispiele sämtlichst dem intimen Feld von Liebe, Partnerschaft und Sexualität entstammen, hat der in diesem Artikel vorgestellte Fokus auf die psychischen Grundbedürfnisse des Menschen weitaus größere Bedeutung.

Ob in Pädagogik, Psychotherapie oder Personalentwicklung: Der Blick auf die wirksamen Bedürfnisse hinter den von uns beobachteten Handlungen, Entscheidungen oder Gefühlen (bei anderen Menschen oder uns selbst) vermittelt uns eine tiefere Ebene des Verstehens, die uns nicht nur unzählige unnötige Konflikte in unserem Alltag erspart, sondern uns darüber hinaus ermöglicht, auf einem soliden Fundament aus Mitgefühl für uns selbst und den anderen eine Vielzahl alter Fragen auf neue, partnerschaftliche Art und Weise zu beantworten.

Auf geht’s:

Räumen wir ein wenig auf und die Sachen dahin, wo sie hin gehören!

Was sind Bedürfnisse?

„Alles Leben ist Leiden, und alles Leiden
hat seine Ursache in den Begierden.“
aus den „vier edlen Wahrheiten“ des Buddhismus

Tief im Unterbewussten verborgen, hinter allem, was wir fühlen oder denken, wollen oder tun, liegen die Gründe für alles Denken und Fühlen, Wollen und Tun: unsere Bedürfnisse.

Ein Bedürfnis, das Wort legt es nahe, ist eine Sache, derer es bedarf. Etwas, das gebraucht wird, um ein gutes und artgerechtes Leben zu führen.

Wir können grob unterscheiden in: Physische und psychische Grundbedürfnisse:

Bedürfnisse des Körpers

Wir alle brauchen zum Überleben dieselben Dinge: Wir brauchen Nahrung und Wasser. Wir brauchen Licht, Luft und Wärme. Wir brauchen Berührung, und neueren Studien zu Folge zählt offensichtlich auch Sex zu unseren rein körperlichen Grundbedürfnissen, die, wenn sie über längere Zeit unerfüllt bleiben, zu Mangelerscheinungen führen.

Die Nahrung (im weiteren Sinne!), die unser Körper benötigt, besteht aus Materie und Energie.

Aber: Nicht alles, was wir essen können, nährt uns. Nicht jede Zusammensetzung des Gasgemisches, das wir Luft nennen, ist unserer Gesundheit und unserem Wachstum dienlich. Nicht jede Art der Berührung oder Aufmerksamkeit tut uns gut.
Was unser Körper braucht, ist nicht Essen oder Luft. Es sind ganz spezifische Moleküle in unserer Nahrung und Atmosphäre, derer es bedarf.

Die Seefahrer vergangener Zeiten erkrankten nicht an Skorbut, weil sie nichts zu essen hatten. Damals waren die Meere noch voller Fisch. Außerdem hatten sie in aller Regel reichlich Dörrfleisch und Zwieback mit an Bord. Zu essen gab es also genug. Trotzdem: Nach Monaten auf See produzierten die Körper der Seeleute Mangelerscheinungen wie Zahnfleischbluten, Erschöpfung und wässrigen Durchfall.

Die Körper der Seefahrer zerfielen bei lebendigem Leib. Von 160 Mann Besatzung verlor Vasco da Gama 100 an den Skorbut. Die meisten von ihnen waren vor Antritt der Reise noch starke, tüchtige und gesunde Männer gewesen. Nur wenige Monate später waren sie tot. Alles, was ihnen gefehlt hatte, war ein Molekül namens Ascorbinsäure, besser bekannt als: Vitamin C.

Unser Körper braucht Vitamine, er braucht Protein, Fett, Zucker und diverse Nährstoffe mehr. Unser Körper braucht Wasserstoffoxid (H2O), und einige der Moleküle aus der Luft.

Wenn wir also Lust bekommen auf den Geschmack von Zitronen oder Johannisbeergelee (oder auch nach Paprika, Spinat oder Broccoli), dann geht es aus Sicht unseres Körpers, der diese Lust durch Ausschüttung neuronaler Botenstoffe produziert, nicht um die Nahrungsmittel in ihrer grobstofflichen Form, sondern um genau jene spezifischen Moleküle, die diese Objekte unserer Umwelt den Erfahrungen unseres Körpers nach in verwertbarer Form enthalten.

Verspürt unser Körper einen Mangel nach einer molekularen Verbindung, dann erzeugt er in uns einen Appetit auf Nahrungsmittel, in denen er diese Substanz vermutet. Worauf genau wir Appetit bekommen, ist davon abhängig, welche Lernerfahrungen unser Körper bislang mit Nahrungsmitteln gemacht hat.

Interessanterweise enthalten die Früchte des peruanischen Camu-Camu-Strauches 20 mal mehr an Vitamin C als schwarze Johannisbeeren und sogar 50 bis 60 mal mehr als eine durchschnittliche Zitrone. Da aber kaum ein Mensch in unserem Teil der Welt jemals das Fleisch einer Camu-Camu-Frucht geschmeckt hat, kennt kaum jemand bei uns die Lust auf eine schöne, saftige Camu-Camu. Anders als in Peru.

Soweit ist alles klar, oder?

Bedürfnisse der Psyche

Ebenso wie unser Körper Nährstoffe braucht, um bestmöglich zu funktionieren, so braucht auch unsere Psyche Nahrung. Und ebenso wie wir zwar den Appetit auf bestimmte Nahrungsmittel bemerken, uns jedoch der dahinter liegenden körperlichen Nährstoffbedürfnisse in aller Regel nicht bewusst sind, so werden wir uns auch unsere psychischen Bedürfnisse zumeist nur indirekt gewahr.

Unser Körper lernt vom Augenblick unserer Geburt an, in welchen Nahrungsmitteln er welche spezifischen Nährstoffe erwarten darf. Ebenso macht auch unsere Psyche Erfahrungen mit der Welt, die uns umgibt. Auch im Bezug auf unsere Psyche lernen wir: „Wenn ich dies tue oder jenes unterlasse, dann bekomme ich…“ Auf diese Weise entwickeln sich in unserer Psyche durch den Prozess von Versuch und Irrtum (bzw. günstigenfalls Erfolg) vielfältige Strategien, die wir erlernen mit dem Ziel der Befriedigung unserer momentanen oder anhaltenden Bedürfnisse.

Unsere psychischen Bedürfnisse sind etwas sehr Grundlegendes. Vergleichbar mit den Nährstoffen, Vitamen und Spurenelementen auf der körperlichen Ebene handelt es sich bei unseren psychischen Bedürfnissen um grundlegende Qualitäten unseres Daseins. Allerdings nährt sich unsere Psyche nicht aus der Sphäre der Materie oder Energie, sondern aus der der Information. Psychische Bedürfnisse sind Informations-Bedürfnisse.

Die Zustände von Sicherheit, Anerkennung oder Verbundenheit (diese und andere hatte bereits Abraham Maslow in dem 1960ern benannt) stellen bei näherer Betrachtung keine real existierenden Fakten dar, sondern sind Interpretationen dessen, was wir über unsere Sinne wahrnehmen.

So kann ich mich sicher fühlen, obwohl ich auf einer Falltür stehe, oder anerkannt, während man sich hinter meinem Rücken über mich das Maul zerreißt.

Und dennoch ist die Information „Ich bin sicher“, „Ich gehöre dazu.“ oder ganz grundsätzlich: „Ich lebe“ von essenzieller Bedeutung für unser System. Je nachdem, ob wir diese Aussagen bejahen oder verneinen, wird dies große Auswirkungen ahben auf unser Denken und Fühlen, Wollen und Tun.

Unsere Wünsche repräsentieren diese Grundbedürfnisse in einer sinnlich konkret erfahrbaren Form. Das, was wir uns wünschen, ist die aktuelle Antwort unserer Psyche auf die aus ihm selbst heraus gestellte Frage: „Wo kriegend wir das jetzt her?“

Wenn wir lernen, zu unterscheiden zwischen unseren Wünschen und den Bedürfnissen dahinter, dann erkennen wir, dass wir das, was uns wirklich fehlt, auf sehr verschiedene Weisen erhalten können. Das bedeutet: Selbst wenn das, was wir uns wünschen, momentan nicht zu bekommen ist, bedeutet das nicht zwingend, dass wir deswegen Mangel oder Leid erleben. Denn es gibt immer mehrere Möglichkeiten, uns unsere Bedürfnisse zu erfüllen, als das Szenario, das uns als erstes oder als lautestes durch den Kopf springt.

Stellen wir uns vor, wir spürten gerade ein Bedürfnis nach liebevoller Nähe und Vertrautheit („Verbundenheit“). Vielleicht entwickeln wir daraus hervor den Wunsch danach, mit unserem Partner zu schlafen. Ebenso könnte aus denselben Bedürfnis heraus auch der Wunsch nach einem intimen Gespräch entstehen. Oder der Wunsch nach Heimkino, Pizza und Wein.

Zumindest die ersten zwei dieser Wünsche kommen allerdings ebenso häufig als Repräsentation des Bedürfnisses nach Intensität zum Einsatz. Und drittes noch häufiger als Ausdruck des Bedürfnisses nach Wohlbefinden. Was dabei rauskommt, ist ist dann allerdings in dem einen wie in dem anderen Fall, mit großer Wahrscheinlichkeit etwas ganz anderes.

An Hand dieses kleinen Beispiels wird leicht deutlich, dass unsere Begegnungen miteinander völlig unterschiedlich verlaufen, je nachdem, ob der Name der uns antreibenden Kraft dahinter wahlweise Intimität oder Intensität ist. Ob es Sicherheit ist, nach der es uns verlangt, oder Freiheit. Ob unser Tun aus dem Bedürfnis nach Anerkennung genährt ist oder aus dem nach Augenhöhe.

Hieraus ergibt sich eine unüberschaubare Anzahl von Möglichkeiten dessen, welche Bedürfnisse sich begegnen, wenn zwei oder mehr Menschen miteinander in Kontakt sind.

Zwischenfazit:

1. Unsere psychischen Bedürfnisse sind Informations-Bedürfnisse. Sie können nicht direkt genährt werden, sondern brauchen dafür konkretes Erleben.
2. Um uns mit den essenziellen Informationen zu versorgen, die wir brauchen, sind wir mit zwei Werkzeugen ausgestattet: Unserem Körper mit seinen Sinnen und Handlungsmöglichkeiten sowie unserer wahrnehmungs- und entscheidungsfähigen Psyche.
3. Unsere Wünsche sind die bestmöglichen Repräsentationen dieser Bedürfnisse in uns. Jeder Wunsch, den wir verpüren, beruht auf der Sehnsucht nach einer essenziellen Information in Form von spezifischem Tun oder Erleben.
4. Je mehr wir in unserem Leben bereits erlebt und erfahren haben, desto breiter und differenzierter wird unser aktiv nutzbarer Fundus an potenziell nützlichen Wünschen, Zielen und Stategien.
5. Je nachdem, welches Bedürfnis im Hintergrund als treibende Kraft aktiv ist, kann zweimal grundsätzlich das gleiche Verhalten durch subtile oder deutliche Veränderungen im ganz konkreten Wie sehr unterschiedliche Folgen haben.
6. Es existieren immer mehrere Möglichkeiten dafür, ein und dasselbe Bedürfnis zu befriedigen. Was wir uns wünschen, ist eine Möglichkeit, unsere Bedürfnisse zu nähren. Allerdings existieren neben dieser zumeist noch mehrere weitere Optionen, die einen ähnlich nützlichen Effekt haben könnten.
7. Gut zu wissen: Wünsche, die gefühlt, aber nicht geäußert werden, degenerieren im Verborgenen nach und nach zu häßlichen und energieraubenden Erwartungen.

Die in diesem Kapitel geschilderten Zusammenhänge sind übrigens eine der zentralen Säulen des weltweit angesehendsten psychologischen Verhandlungsmodells. Das nach dem Ort seines Entstehens benannten Harvard-Modell spricht nicht von Wünschen (Strategien) und Bedürfnissen, sondern von Verhandlungspositionen und den Interessen dahinter. Ansonsten weisen die Autoren mit wiederholtem Nachdruck darauf hin, welch massive Bedeutung das Wissen um die Unterscheidbarkeit dieser Ebenen auf Verlauf und Erfolg einer jedweden Verhandlung hat.

Bedürfnisse: Einige Worte zu Abraham Maslow

Wir dürfen den Menschen nicht nur als das sehen, was er ist,
sondern müssen erkennen, wie er sein kann.
Abraham Harold Maslow (1908 – 1970)

Abraham Maslow war ein zarter, trauriger Junge aus Brooklin, aus dem einer der größten Psychologen des 20. Jahrhunderts hervorging. Die von ihm entwickelte „Bedürfnispyramide“ gilt als einer der zentralen Grundpfeiler unseres modernen psychologischen Menschenbildes.

Die Maslowsche Bedürfnishierarchie

Abraham Maslow kategorisierte und klassifizierte die menschlichen Bedürfnisse in zunächst fünf, später acht Stufen, die nach seinem Verständnis im Laufe der individuellen Entwicklung eines Menschen nacheinander entstehen und in hierarchischer Weise auf das Denken, Fühlen und Handeln des Menschen einwirken.

Je „niedriger“ hierbei das Bedürfnis in der Hierarchie verortet ist, desto „höher“ ist seine Bedeutung bzw. desto größer sind die gesundheitlichen, emotionalen, psychischen und sozialen Folgen eines tatsächlichen oder empfundenen Mangels auf diesen Ebenen.

Maslow benennt folgende acht Stufen menschlicher Bedürfnisse:

1. Physiologische Bedürfnisse
2. Sicherheitsbedürfnisse
3. Soziale Bedürfnisse
4. Individualbedürfnisse
5. Kognitive Bedürfnisse
6. Ästhetische Bedürfnisse
7. Selbstverwirklichung
8. Transzendenz
(1971 posthum veröffentlicht in: „Farther Reaches of Human Nature“)

Ich teile Maslows Sicht auf die Bedeutung unserer Bedürfnisse uneingeschränkt. Jedoch glaube ich, dass es, um diese Erkenntnisebene im Alltag zu nutzen, hilfreich ist, unsere Grundbedürfnisse konkreter zu benennen und vielleicht darüber hinaus einige kleinere Lücken zu schließen.

Unsere psychischen Grundbedürfnisse
Der Versuch einer alltagstauglichen Nomenklatur

Dieser Artikel wäre nicht vollständig ohne eine Antwort auf die Frage: Welches genau sind unsere psychischen Grundbedürfnisse? Bestenfalls beinhaltet diese Antwort natürlich eine nachvollziehbare und in sich geschlossene Struktur.
Dies stellt eine gewisse Herausforderung dar. Schließlich sprechen wir von Triebkräften, die so tief und so alt in uns verankert sind, dass wir diese mit den begrenzten Mitteln unserer Sprache vielleicht niemals wirklich ganz erfassen können. Wir können uns lediglich nähern, indem wir möglichst klare Worte wählen.

Noch dazu haben gerade emotional besetzte, assoziativ wirksame Bezeichnungen (und genau darum handelt es sich hierbei aus nachvollziehbarnen Gründen) interindividuell je nach Persönlichkeit und Erfahrungshintergrund zum Teil recht unterschiedliche Bedeutungen.

Aus diesem Grunde habe ich den von mir gewählten Bezeichnungen unserer Bedürfnisse jeweils mehrere „Synonyme und artverwandte Begriffe“ zur Seite gestellt, die verdeutlichen, mit welcher Art von Bedürfnis (und damit: Wirkkraft) wir es zu tun haben und unter welchen Namen es ebenfalls auftritt.

Die hier aufgeführte Reihenfolge unserer psychischen Grundbedürfnisse stellt das Nacheinander der Entwicklung im Prozess der Evolution bislang dar – sowie auch der Ausbildung dieser Bedürfnisse im Verlauf der individuellen Reifung und Entwicklung.

Klassifiziert werden die Bedürfnisse in der folgenden Matrix in fünf Stufen (0 bis 4).

Der strukturelle Aufbau der Bedürfnismatrix beinhaltet, anders als die bekannten Modelle von Maslow und Graves / Beck, kein hierarchisches Verständnis der Bedeutung unserer Grundbedürfnisse.

Auch in meiner Vorstellung werden die psychischen Bedürfnisse sowie die sich aus diesen heraus ergebenden Fähigkeiten im Laufe unserer individuellen Menschwerdung nacheinander ausgebildet. Jedoch ist die Wertigkeit und Bedeutung jedes einzelnen Bedürfnisses für das Fühlen, Entscheiden und Handeln eines Menschen in einer konkreten Situation in meinen Augen abhängig von einer Reihe verschiedenen Faktoren:

Ich glaube, dass es einen grundlegenden genetischen Faktor gibt, der in die innere Hierarchie unserer Bedürfnisse mit einwirkt.

Darüber hinaus lernen wir bereits von unserer Kindheit an wiederholt bestimmte physische oder emotionale Ressourcen als vorhanden oder begrenzt kennen. Daraus resultierend kommt bestimmten körperlichen oder psychischen Bedürfnissen in unserem System eine geringere oder höhere Wertigkeit zu.

Selbstverständlich hat nicht zuletzt der aktuelle Grad unserer Versorgung mit den „Nährstoffen“, die unsere Psyche braucht, einen erheblichen Einfluss darauf, welches Bedürfnis gerade welche inneren Prozesse in Gang setzt.
Manche Bedürfnisse scheinen in der Erlebnis- und Erfahrenswelt bestimmter Menschen keine Rolle zu spielen. Das bedeutet nicht, dass diese Bedürfnisse nicht angelegt wären. Möglicherweise wurden sie durch die Erlebnisse und Erfahrungen in ihrem Leben lediglich noch nicht aktiviert.

Oder aber sie wurden bereits früh in der Entwicklung als persistent fragil oder kategorisch unerfüllbar erlebt. In diesem Fall entwickelt der Mensch (oder das Tier) nicht selten energieaufwändige, jedoch nur selten nützliche Kompensationsstrategien. Wer einen Hunger spürt, den er nicht kennt, wird versuchen, ihn mit den Mitteln zu stillen, die er kennt.

Übersicht der psychischen Grundbedürfnisse des Menschen

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